BRÖTCHEN MIT BLUTWURST

■ Freeconcert im Rathaus Charlottenburg

Welch hochtrabende Ziele sich Konzertveranstalter mitunter setzen, wird meist erst deutlich, wenn man auf dem Nachhauseweg noch einmal die Vorankündigung leist: „Eine andere Szene? Unter diesem Stichwort ist geplant, genre -übergreifende Musiker in Kombinationen nebeneinander zu stellen, die durchaus auch schon mal das Ohr des Hörers schockieren dürfen.“ Da lacht das Ohr und freut sich auf die bösen Geister.

Zwischen den Wrackteilen eines knallgeben Plastikautos, das David Moss stampfend zermalmt hat, postiert sich Caspar Brötzmann. Heute wieder solo, muß er das „Massaker“ an der Gitarre als Einzelkämpfer vollziehen. Er spielt mit stoisch ruhigem Gesicht die verzerrtesten Töne. Zum Feedback hockt er sich vor die Monitorbox, eine intime Huldigung an seinen ihn anquietschenden Verstärker. Gegen diesen Mann läßt sich einfach nichts einwenden, wie Steffi Graf gewinnt er jedes Spiel, man hat kaum Muße, sich an dem Sieg zu freuen, viel zu schnell ist er wieder verschwunden.

Er räumt das Rathausfeld für ein Streichquartett mit Fahrradklingel (wie originell!). Heute im Sonderangebot: Klanggemischtwaren, Klassikaufschnitt und Streichwurst. Es zieht einen automatisch in die Rathauslobby, in der Pappbrötchen mit Blutwurst und Bier feilgeboten werden - so kommt man auch bei einem „Freeconcert“ auf seine Kosten. Gestärkt ist man auf den Auftritt des Szene-Sternchens Santrra vorbereitet. Alleingelassen mit ihrem Akkordeon, wagt sie sich nun schon seit Jahren vor das angeblich regelmäßig begeisterte Publikum und singt: „Niemand mag mich, drum bin ich hier allein, allein und glücklich ... hey ey, laß mich tief in dich rein.“ Der todernste Hedonismus steht ihr ins Gesicht geschrieben, sie nimmt sich und ihre banalen Weisheiten für bare Münze. Kein Fünkchen Ironie kommt ihr über die Lippen. Ein eingeschworener Altfan behauptet, das sei alles Absicht, außerdem sei sie recht hübsch.

Hans Reichel, der nächste Sologitarrist, würde von einer Quotenregelung für bemüht konzentiert agierende Musikanten profitieren. Jaulend seziert er eine Eisenfeile mit dem Bogen, sphärisch hallt die Selbstbaugitarre durch den Saal, bis kurz vorm Abheben einer aus der Lobby brüllt: langweilig, langweilig! Hans Reichel ist enttäuscht. Tieftraurig packt er die Instrumente ein. Solidarischer Beifall will ihn trösten, doch umsonst.

Lars Rudolph, Trompete, und David Gattiker, Cello, treten ein. Rudolph stützt sich mit lang vorgestrecktem Zeigefinger auf den Synthie, das Gegengewicht bildet die Trompete, die ihn nach hinten zieht. Es zischt und blubbert, tutet und pfeift, das Cello wird zur E-Gitarre. Rudolph bellt ins Mikro, die Klospülung rauscht, die Rotze kommt aus der Trompete geflogen, es ist herrlich. Eine Stimme: „Sie werden das bekommen, was ihnen zusteht.“ Na endlich.

Andreas Becker