„Diplomaten in die Schule nehmen“

Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung über die „Kriminellen“ in Washington und die Bedeutung des Anti-IWF-Protestes  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie sind Norweger und haben einen Vorschlag für eine gerechtere Weltordnung entwickelt. Ist das nicht wieder ein Beispiel für europäische Großmannssucht?

Johan Galtung: Ich gehe von drei Beispielen aus, für die man meine Vorschläge benützen könnte: den Beziehungen zwischen den zwölf Ländern der europäischen Gemeinschaft, innerhalb der ASEAN-Gruppe und unter den skandinavischen Ländern. Ich sehe dann das Ganze ganz einfach und als eine relativ praktische Sache: Frieden ist die Regelung von Macht und in diesen drei Gebieten ist die Regelung relativ gut gemacht. Deswegen glaube ich nicht, daß man von der typischen europäischen Hybris vom europäischen Standort aus sprechen kann. Es geht um etwas Neues im 20.Jahrhundert. Aber das Problem ist, daß diese drei Gebiete insgesamt etwa 625 Millionen Einwohner haben, das sind nur zwölf Prozent der Menschheit - das ist zu wenig.

Sie unterscheiden vier Typen von Macht: militärische, ökonomische, kulturelle und politische - die alle verändert oder abgeschwächt, aber nicht abgeschafft werden können. Ist dieses Machtgeflecht nicht ein „Gordischer Knoten“, der nur durch Zerschlagen verändert werden kann?

Nein. Das halte ich für eine typische abendländische Haltung ebenso wie alle monokausalen Lösungsansätze. Der Marxismus fing immer erst mit der Kollektivübernahme der Produktionsmittel an, und damit regelt sich alles; und die liberale Weltordnung hatte immer als Grundidee Wachstum und mit mehr Geld wird sich alles regeln. Daran glaube ich nicht. Ich denke, man muß an allen Problemstellungen, die sich aus dem Machtgefecht ergeben - ich unterscheide da acht - gleichzeitig arbeiten. Die Methode „Gordischer Knoten“ gibt es überhaupt nicht. Das ist nur ein Trick, eine abendländische Denkweise, sich die Sachen intellektuell zu vereinfachen. Aber in der Realität funktioniert das nicht.

Welche Macht repräsentiert denn nun das Treffen von IWF und Weltbank in Berlin?

Das ist eine Mischung von allen Formen: Selbstverständlich ökonomische Macht, die aber deutlich von militärischer Macht unterstützt wird. Besonders deutlich wird das bei der Brutalität etwa in amerikanischen Ländern gegen Gewerkschafter. Das geht bis zur Liquidation von Funktionären, bevor es zum Vertrag mit der Weltbank kommt. Es gibt zahlreiche seriöse Forschungen darüber, wie das vor sich geht. Aber Fonds und Weltbank sind selbstverständlich auch ein Ausdruck von kultureller Macht, denn dahinter steht eine gesellschaftliche Ordnung, eine Idee, wie Entwicklung zu verstehen ist, und das setzt man ganz einfach durch. Die Leiden, die damit verursacht werden, sind schon jetzt außerordentlich hoch und werden sich weiter erhöhen. Das ist organisierter Unfrieden, was man dort macht. Ich kenne ganz viele der Projekte von Weltbank und IWF, und ich kenne kein Projekt, was wirklich einwandfrei ist, in dem Sinne, daß die Kosten nicht außerordentlich hoch sind. Aber die Ökonomen haben ja diese Dimension von Kosten nie betrachtet. Jetzt wenden sie sich etwas den ökologischen Kosten zu, aber das ist sehr wenig.

Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Berliner Jahrestagung?

Dort wird einfach weitergemacht. Ich glaube, das Interesse sollte nicht den Offiziellen, sondern den Gegenveranstaltungen gelten. Ich hoffe, daß das gewaltfrei abläuft, aber vielleicht ist das naiv. Aber eine Tribüne, wo man ganz klar darstellt, welche Kriminalitäten diese Organisationen in Washington gemacht haben, das ist außerordentlich wichtig. Und es ist ganz interessant, daß dies in Berlin stattfindet, denn da gibt es soviel Möglichkeiten, die Weltöffentlichkeit zu erreichen.

Welche Aufgaben müßte der Protest in Berlin erfüllen, um fruchtbar zu sein?

Ich denke, die Diplomaten der Weltökonomie müssen in die Schule genommen werden. Die haben im allgemeinen gar keine Ahnung, was in der Realität vor sich geht. Wir dürfen nicht vergessen, die Repräsentaten der reichen Länder im Weltbankrat, die sind nur ganz einfach Bankiers. Die haben Darlehenskonditionen im Kopf, Kreditlinien, Zinskonditionen, mehr nicht.

Heißt das nicht Pädagogik statt Politik?

Pädagogik ist ein Anfang von Politik. Der Protest kann nicht selber Politik machen. Der hat vor allem die Aufgabe, Solidarität mit den Opfern der Weltbankpolitik auszudrücken. Es ist ein langer Prozeß, die Denkmuster in dem ganz geschlossenen Kreis der Weltbank-Politiker zu verändern. Die denken ökonomistisch.

Wie ist das alles zu ändern?

Ich glaube, auf die Dauer tut man das nur, wenn es eine neue, gute, alternative Ökonomie gibt. Und sowas fängt an mit neuen Büchern, neuer Theorie.

Interview: Georgia Tornow