Die digitale Revolution

■ Angriff der Dritten Art auf „das System“

Q U E R S P A L T E

Seit einigen Tagen werden die Partialberliner in Kreuzberg mittels extensiver Plakaktierung unter dem Motto „Kreuzberg macht blau“ zum präventiven Generalstreik gegen Aus- und Einsperrung aufgefordert. Ersatzweise lockt dann zwar immer noch die eher altmodische, romantische Form des staatsbürgerlichen Widerstands mittels einfachem auf die Straße gehen plus mutmaßlicher sportlicher Betätigung im vereinten analogen Geländemarsch - ein locker Lied, ein klappernd Reim aus alten Tagen auf der Choristen Lippen. Doch endlich soll gleichzeitig auch die modernste Form der Subversion als Pilotprojekt getestet werden: Feiern und Faulenzen.

Planung ist indes auch hier alles: Einmal im Leben die Getränkemärkte rechtzeitig plündern! Ohne Salzletten und Dosenbier kein effizienter Widerstand, der im Zeitalter der Massenkommunikation bekanntlich vor dem Fernseher stattfindet. Denn im Fernsehen ist das System, das willenlose, das, wie die Banken, nur die simulierten Fakten zählt und nicht die Leben, im einkalkulierten Ernstfall nicht einmal die eigenen.

Jenseits des computerisierten Reichs der Notwendigkeit ist im Reich der Freiheit alle Tage Sonntag. Und das heißt, daß die Stadt auf einmal leer ist. Kein Menschenfluß, kein Warenfluß, kein Informationsfluß - „Tilt“ für das System.

Die Massen vermummen sich in ihren Häusern, spielen nicht mehr, wie früher - je gagenloser, desto engagierter - mit in dem perfekten Hollywood-Szenario der Endlosschleife des Aggressionsflusses und verweigern ihre Rasterbilder dem großen Bruder, dem Dialogmodell Fernsehen, dessen Fernbedienung sie wenigstens für eine Woche endlich wirklich in der Hand haben.

Plötzlich zeigt die vierte Gewalt nur noch depersonalisierte quadratische Bänkerschädel, nur noch die „0“, während die komplementäre „1“ des aufrechten Kämpfers für alle weiteren Berechnungen im binären Code fehlt. Das ist das Zeitalter der digitalen Revolution. Aber leider: Auch die Sowjetunion wurde einst nicht in einer Woche elektrifiziert.

Gabriele Riedle