Mut machen zum Nachvornedenken

Gestern begannen die Gegner der Politik von IWF und Weltbank mit einem internationalen Kongreß ihre Gegenkampagne / Auch gegen Weltwirtschaftsordnung / „Breiteste kontroverse Debatte seit der Vietnam-Bewegung“ / Neue Qualität der Internationalismus-Bewegung?  ■  Aus Berlin Vera Gaserow

Der „Companero“ und „erste Sekretär der Kommunistischen Partei“ Fidel Castro himself schickte eine Grußbotschaft mit „Hochschätzung für diese Initiative, die ich schon jetzt als historisch bezeichnen möchte“, Rudi Dutschkes Schlußworte auf dem legendären Vietnam-Kongreß 1968 klangen duch das Audimax, und von oben blickte „olle Che“ Guevara auf das Menschengewusel in der Berliner Technischen Universität herunter. Mehr als 1.300 Leute aus allen Teilen des Bundesgebietes sowie zahlreiche BeobachterInnen und DiskutantInnen aus dem Ausland waren gestern gekommen, um auf dem zweitägigen Gegenkongreß dem internationalen Bankertreffen Kritik und Lösungsvorschläge entgegenzusetzen.

Wie dieser Kongreß zustandegekommen ist, das signalisiert, so meinen die Veranstalter, eine neue Qualität. Über 120 verschiedene Gruppen, von den Grünen bis zu kirchlichen Initiativen, haben sich an der zweijährigen Vorbereitung beteiligt und sich in langwierigen Diskussionen auf ein gemeinsames Programm geeinigt. Schon im Vorfeld, so der Sprecher der Veranstaltergruppe, Walter Hettig, gestern in seiner Eröffnungsrede, sei - ausgerechnet über das komplizierte und spröde Problem Schuldenkrise - eine „solch breite, wenn auch kontrovers geführte Debatte geführt worden, wie es sie wohl seit der Vietnambewegung nicht mehr gegeben hat.“ Der Widerstand gegen die Politik von Weltbank und IWF habe auch dadurch eine neue Qualität bekommen, daß blockübergreifend - in den nächsten Tagen auch in Ost-Berlin Protestaktionen gegen das Bankertreffen stattfinden werden.

Ganz unfeierlich eröffnet wurde der Gegenkongreß gestern mit einem Sketch der kolumbianischen Theatertruppe „Candelaria“, die in einer kurzen Szene die Eroberung des lateinamerikanischen Kontinents darstellt. Heute, so schilderte dann der urugayische Schriftsteller und ehemalige Tupamaro Mauricio Rosencof, stirbt auf diesem Kontinent jede Minute ein Kind an Unterernährung. Schon im vorigen Jahrhundert hätten die Banken in Lateinamerika die Minen geplündert, die Wälder gerodet und aus den Ländern eine einzige Bananenfabrik gemacht. Heute, angesichts der astronomischen Höhe der Schulden, meinte Rosencof, müßte man dem lateinamerikanischen Kontinent folgendes Motto in sein Wappen schreiben: „Noch nie haben so viele Menschen so wenigen so viel geschuldet.“ Tatsächlich jedoch seien wohl eher die „die wenigen“ die Schuldner, die den Vielen Dank und Wiedergutmachung schuldeten.

Der Gegenkongreß ssoll nicht nur der Auftakt sein für die in den nächsten Tagen folgenden Aktionen gegen die Bankertagung. Er soll auch „Mut machen, die Anstrengung des Nachvornedenkens aufzunehmen“, und „praktische Solidarität mit all denen zu üben, die sich die Politik von IWF und Weltbank nicht mehr gefallen lassen“. Nicht „akademische Selbstreflektion“ sei das Ziel des Treffens, sondern die Diskussion darüber, wie gemeinsam mit Vertretern aus der Dritten Welt Handlungsperspektiven gegen die Schuldenspirale und die bestehende Weltwirtschaftsordnung entwickelt werden können. In keinem Fall - da waren sich sämtliche Redner der Eröffnungsveranstaltung einig - könne es ausreichen, die Kritik allein auf IWF und Weltbank zu richten. Diese beiden „neuen Kolonialherren“ trügen zwar die Verantwortung für Ausbeutung und Hunger, doch ohne eine grundlegende Veränderung kapitalistischer Strukturen würde auch ein genereller Schuldenerlaß die Schuldnerländer bald wieder in dieselbe Misere bringen.

In fünf Arbeitsforen wollen die Kongreßteilnehmer nach Handlungsperspektiven und Lösungsvorschlägen aus der Schuldenfalle suchen. Frühestens am Ende der zweitägigen Veranstaltung und vielleicht auch erst in einigen Monaten wird sich sagen lassen, ob der Kongreß tatsächlich das geben kann, was einer seiner Initiatoren gestern schon vor sich sah: einen neuen Anstoß für eine breite Internationalismus -Bewegung.