Ohne Kommerz und Alk

■ Viertägiges Herbstspektakel im Bremer Osten / Osterholzer Bevölkerung, psychisch Kranke und Behinderte feierten gemeinsam im Park des ZKH Bremen-Ost

Ein Herbstfest ohne Kommerz und Alk? Was für's Ostertor zum Beispiel kaum vorstellbar ist, hat im Bremer Osten für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Zugegeben - Osterholz und Ostertor haben wenig miteinander gemeinsam, aber Stadtteilfeste laufen meistens nach dem gleichen Strickmuster ab. Grund genug, einmal hinter die Kulissen der „vier tollen Tage“ des Herbstspektakels im Bremer Osten zu schauen, das am Samstag zu Ende ging.

Ungewöhnlich war bereits der Veranstaltungsort, denn wann befinden sich schon Festzelt und Festwiese auf dem Gelände eines Krankenhauses. Als Hauptveranstaltungsort wurde vom „Kreativbüro“ dieser Park gewählt, weil das Zentralkrankenhaus ein Herzstück von Osterholz ist. „Wir schaffen Anlässe und Ereignisse, wo sich die Menschen kennenlernen und etwas erleben können,“ beschreibt Achim Tischer die Arbeit des „Kreativbüros“, das für Planung und Koordinierung der vielen Aktivitäten der Festtage zuständig war.

In diesem vom Arbeiter-Samariter-Bund getragenen ABM-Pro

jekt arbeiten seit Juli letzten Jahres drei Männer und zwei Frauen aus den Bereichen Kulturpädagogik, Kulturwissenschaft und Musikpädagogik. Sie wollen dazu beitragen, daß Bevölkerung und PatientInnen duch eine Öffnung der auch als „Irrenanstalt“ bezeichneten Klinik für und in den Stadtteil vertrauter miteinander werden.

„Wir haben niemanden mit Geld gelockt“, beschreibt Achim Tischer die Planung der Festtage. „Alle haben mitgemacht, weil sie dort leben, arbeiten oder zur Schule gehen, und das ein Forum war, sich zu präsentieren.“ Auf Profis als Publikumsmagnete und andere Highlights wurde vollkommen verzichtet.

Angefangen hatte der letzte Tag des Herbstfestes mit einem Frühschoppen, mit jazziger Zigeunermusik, Filmen und Mitspielaktionen auf dem Gelände des Ortsverbandes der Samariter. Danach galt es umzuziehen in den Park des nahegelegenen medizinischen Betonklotzes. Wegen der schlechten Laune von Petrus mußte zwar kurzfristig ein Regenprogramm organisiert werden

und Schüler-Rockbands, Blasorchester und Theater von der Festwiese in trockene Gefilde, Festzelt und das Gesellschaftshaus wechseln. Das konnte den vielen BesucherInnen aber die Laune nicht verderben.

„Die Herbstfesttage waren ein großer Erfolg, auch und gerade wegen des provinziellen Charakters, was dem „Dorf“ Osterholz durchaus entspricht, wie Achim Tischer meint. Als von der Idee her „voll aufgegangen“ empfand er besonders den Herbstball. Im Festzelt am Freitag abend war eine so gute Atmosphäre, daß Leute - auch PatientInnen - anfingen zu tanzen, von denen man das nie erwartet hätte. Eine Frau vom Circus Casselli, deren Zirkusleute als BesucherInnen gekommen waren, ging spontan auf die Bühne und führte Akrobatik vor, weil sie die Stimmung so toll fand, wie sie sagte.

Trotz des durchwachsenen Wetters tummelten sich an den vier Tagen Alt und Jung vergnügt im Festzelt und im Park. Schließlich gab es noch nie für den kulturell bisher vernächlässigten Stadtteil so viel Musik, Theater,

Spiel und Spaß zum Mitmachen und Anfassen, und das direkt vor der Haustür.

Ein Projekt, in das das Kreativbüro zukünftig besonders viel Power und Ideen stecken will, ist das geplante Krankenhaus-Museum, das im Frühjahr auf dem Gelände des Krankenhauses eröffnet werden soll. Während der Festtage konnten sich Bevölkerung, Klinikpersonal und (ehemalige) PatientInnen durch eine Ton-Dia-Schau über das „Leben und Arbeiten in Ellen“ erste Einblicke in die Geschichte der Psychiatrie von 1904-1945 am Beispiel des Krankenhauses Ost verschaffen, was auch ausgiebig genutzt wurde.

Grundlage für die längst fällige Geschichtsaufarbeitung sind Gespräche mit Zeitzeugen, sowie gesammelte Gegenstände, Fotos und Dokumente aus jener Zeit. An allen Zeitzeugnissen, auch an auf den ersten Blick unwichtigen Kleinigkeiten, sowie an ZeitzeugInnen, Pflegepersonal, ehemalige PatientInnen ist das Kreativbüro sehr interessiert. Kontakt: Kreativbüro, Züricher Straße 40, Tel.: 408757.

RaS