FARBE BEKENNEN

■ Performance entlang der Speerachse von Egon Schrick

Seitenstraße am Samstag mittag: Natürlich werden Autos gewienert. Auch zwei Wagen mit den blauen Robben und einem Häuflein herumstehender Leute passen ins Bild. Ungewöhnlich nur, daß sie hier für eine Demo zu üben scheinen und mit Tüchern rumhantieren.

Aber was für den Nicht-Eingeweihten aussehen mochte wie der verpennte Anfang einer Demonstration, war das Ausmessen der martialischen „Beutewaffenallee“ am Südende der Speerachse. Die Tücher als Markierungen halfen, sich in die Dimensionen der Nord-Süd-Achse, die Allee der steinernen Totenburgen hineinzuversetzen. Sich die Ausmaße der geplanten Stadt Germania an Ort und Stelle zu verdeutlichen, gehörte zur „Speerachsen-Performance“ von Egon Schrick. Jeder menschliche Maßstab geht vor diesen Gebäudefronten und auf diesen Plätzen verloren. Um sich die einschneidende radikale Vernichtung bestehender Stadtteile und Wohngebiete vorzustellen, braucht man nur einmal den Weg der Achse abzulaufen: alle Wohnblocks, die man dabei im Zickzack abläuft, sollten abgerissen werden. Die Kahlheit des Platzes des heute geplanten Kulturforums geht auf den Beginn der damaligen Abbrucharbeiten zurück. In der Überblendung des Speerschen Planes auf die heutige Situation verschwindet die Nationalgalerie im Seitenflügel des Oberkommandos des Heeres und Kunstgewerbemuseum und Philharmonie werden zu Partikeln der Soldatenhalle, die „als Denkmal für die künftigen gefallenen Soldaten des Dritten Reiches“ geplant war.

Vom oft vergeblichen und ohnmächtigen Versuch, sich der Ordnung der Geometrie, der Zentrierung auf eine Linie und Mittelachse, zu entziehen, entwarf Schrick in seinen Aktionen Bilder. Dabei holte er den Maßstab in seinen Körper zurück.

Die Zustände, in die er sich für die Aktionen versetzte, waren doppeldeutig: er glich einem, der keine Kontrolle über seinen Körper hat, der in die Leinwand hineingedrängt wird, sie angreift, in sie einsteigt, an ihr Halt sucht und sich in sie verkriechen will - aber zugleich blieb spürbar, daß er seine Energien zurückhielt, ihnen eine innere Ökonomie auferlegt hatte, die ihn über die acht Stationen trug. Schrick wurde zu einem Reisenden, der dauernd aus dem Zug der Realität, in dem ihm ein wenig vom Publikum die Rolle eines Reiseleiters zugeschrieben wurde, in ein Unterseeboot umsteigen mußte, in dem die Druckverhältnisse unsicher schwankten und das Bewußtsein absacken ließen.

Er kroch zur Leinwand, er kämpfte die Bewegungsrichtungen aus der Erde, die im einsetzenden Regen immer ungemütlicher wurde, an den Wänden hoch, er agierte mit den Aggressionen des Entmachteten, der weder weiß noch sieht, wogegen er sich wehrt. Der Blick auf die autistischen Verkrümmungen wurde mir manchmal peinlich. Nie aber fiel er in seinem Kampf in heroische Positionen, erinnerte aber oft an einen, dem die Nachahmung des Heldentums schon das Rückgrat gebrochen hat. Er biß in Kohlestifte, er trank die Farbe, er schüttete, wischte und haute sie auf die Leinwand, die so zum Dokument seiner Zustände wurde.

Diese Mal-Aktionen als Auseinandersetzung mit der unkenntlichen gewordenen Geschichte der Schauplätze und ihren Abdrücken in der eigenen Identität zu spüren, gelang mir nur selten (anderen mehr). Meiner eh nicht besonders ausgeprägten intuitiven Aufnahme-Fähigkeit kamen auch die sieben Stunden Dauer, Kälte und Regen nicht zugute. Es verschwand aber zunehmend das Bedürfnis der Distanzierung und des Sich-lustig-machens.

Unangenehm waren mir nur wenige Momente, in denen das Performance-geübte Publikum geradezu darauf lauerte, daß zufällige Passanten sich als Dumm-Rumlacher, Nichts-Seher Noch-Versteher und typische Vorbeigeher erwiesen und die Wut eines mit etwas Farbe auf der Hose bekleckerten, fast fassungslosen Touristen schadenfroh belachten.

Katrin Bettina Müller