Blüms Modell: Mehr arbeiten, weniger Rente

Heute beschließt der „kleine Parteitag“ der CDU das neue Rentenmodell / Im Mittelpunkt steht weiter die lohn- und beitragsbezogene Rente  ■  Von Martin Kempe

„Beitragssatzanbindung“ - keine Debatte der bundesdeutschen Politik ist so von Wortungeheuern durchsetzt wie die um die Sicherung und Reform der Rentenversicherung. Ein dschungelartig wucherndes Expertenvokabular versperrt dem Laien den Durchblick, ganz gleich, ob er schon Rentner ist oder derzeit noch fleißig einzahlt für eine „sorgenfreie Zukunft nach einem arbeitsreichen Leben“ - so die gefühlige Standardformulierung der ansonsten knochentrockenen Sozialpolitiker aller Parteien.

Die Fronten bei der Diskussion um die Rentenversicherung verlaufen unübersichtlich. Die Grünen haben ihre Diskussion um ein Existenzgeld für alle noch nicht abgeschlossen: bei einem Betrag von etwa 1.200 Mark für alle, die ihr Geld nicht durch Erwerbsarbeit verdienen, verschwände das Rentenproblem im großen Topf einer allgemeinen sozialen Grundsicherung, die sich auch auf Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, nicht berufstätige Hausfrauen, kindererziehende oder kulturell beziehungsweise politisch aktive Aussteiger bezieht. Eine Finanzierung dieses Programms wäre allerdings nur über eine radikale Umschichtung des Bundeshaushalts zugunsten der Sozialausgaben und zulasten etwa der Militärausgaben möglich.

Da dies auf absehbare Zeit wohl kaum durchzusetzen ist, fordern sie in der aktuellen Rentendiskussion die Einführung einer Mindestrente von 1.200 Mark. Längerfristig schlagen sie vor, das Rentensystem umzubauen: Neben einer Grundrente („Volksrente“) in Höhe von etwa 1.000 Mark soll es eine zusätzliche Pflichtversicherung für alle geben, durch die die Grundrente je nach eingezahlter Beitragshöhe aufgestockt wird.

Auch bei den anderen Bonner Parteien klaffen utopische Elemente und realpolitische Diskussion auseinander. Die SPD beispielsweise hat auf ihrem Parteitag in Münster die Forderung nach einer „Sockelung“ der verschiedenen sozialen Sicherungssysteme beschlossen. Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfesystem sollen zwar als unterschiedliche soziale Sicherungssysteme bestehen bleiben, aber jeweils eine „existenzsichernde“ Grundsicherung beziehungsweise Mindestsicherung in Höhe eines Betrages von 900 bis 1.000 Mark vorsehen. Ansonsten sollen die derzeitigen Sicherungssysteme Rentenversicherung, Sozialhilfe, Arbeitslosenversicherung nicht grundsätzlich umgebaut werden. Eine Zweiteilung des Rentenversicherungssystems in Grundsicherung und zusätzliche Pflichtversicherung lehnen die Sozialdemokraten ab - die Umstellungsprobleme können nach ihrer Einschätzung nicht bewältigt werden. Die auch bei ihrer Konzeption notwendigen zusätzlichen Milliardensummen wollen die Sozialpolitiker der SPD durch eine „Dreiklang der Lastenverteilung“ aufbringen: Der Staat soll seinen Haushaltszuschuß zur Rentenversicherung auf 20 Prozent erhöhen, die Beitragszahler müssen bei ungünstiger demographischer Entwicklung mit einer Erhöhung ihrer Pflichtbeiträge rechnen und die Rentner mit einem geringeren Anstieg ihres Rentenniveaus.

Aber in der aktuellen Diskussion spielen diese Vorstellungen einiger SPD-Programmatiker ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Hier zeichnet sich ein parteiübergreifendes Bündnis zwischen den Unionsparteien, der FDP und den Sozialdemokraten ab, das lediglich durch den Finanzpoker um die Bundeszuschüsse für die Rentenversicherung mit Konfliktstoff angereichert wird. Bundesarbeitsminister Blüm hat Mitte des Monats seine Vorstellungen zur Reform der Rentenversicherung vorgestellt. Und wie es scheint, formiert sich in dieser Frage so etwas wie eine großen Koalition der Bonner Altparteien ausgenommen eine reformerische Gruppe um den CDU-Querkopf Kurt Biedenkopf, die ähnlich wie die Grünen eine Grundrente für alle bei gleichzeitiger Möglichkeit zu privater Höherversicherung fordert. Biedenkopf allerdings will die Zusatzversicherung über die Grundrente hinaus nicht wie die Grünen als Pflicht-, sondern als freiwillige Versicherung mit der Gefahr, daß viele Menschen während der Erwerbszeit ihren Lebensstandard auf Kosten ihrer Alterseinkünfte steigern.

Im Ministerium Blüm will man von solchen Radikallösungen nichts wissen. Die Grundlage für alle Rentenansprüche sollen nach wie vor die eingezahlten Beiträge bleiben, heißt es in einem Konzeptionspapier mit dem Titel Die Reform der Rentenversicherung - Aufgabe und Lösungsvorschläge. Langjährige Erwerbstätigkeit wird also weiterhin Voraussetzung für Rentenansprüche bleiben - eine Regel, die auf traditionelle Familienstrukturen abstellt, weil sich beispielsweise der Rentenanspruch verheirateter Ehefrauen nicht aus eigenem Recht, sondern aus der Erwerbstätigkeit des Ehemannes ableitet. Gleichzeitig zementiert diese Regelung die soziale Schichtung der Erwerbsgesellschaft: Aus hohen Arbeitsverdiensten ergeben sich hohe Rentenansprüche. Und wer während des Arbeitslebens kaum was zu beißen hatte, bleibt auch im Alter arm.

Die auf Grund der ungünstigen demographischen Entwicklung (immer mehr Rentner bei immer weniger Erwerbstätigen) und der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit zunehmenden Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung will Blüm durch eine „gleichmäßige Belastung“ aller Beteiligten - Rentner, Staat, BeitragszahlerInnen - lösen.

Die Rentner sollen in Zukunft mit geringeren Wachstumsraten ihres Einkommens zufrieden sein, denn die Steigerung der Renten soll nicht mehr dem durchschnittlichen Wachstum der Brutto-, sondern der Nettolöhne folgen. Als besonderes Bonbon für die zukünftigen Rentner hat Blüm noch eine Verlängerung und Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit in seiner Wundertüte: Die vorzeitigen Altersgrenzen von 60 (Frauen) und 63 (Männer) sollen nach und nach auf die Regelaltersgrenze von 65 Jahren angehoben werden. Konkret bedeutet dies: Wer früher aufhören will, bezahlt dies durch niedrigere Rente.

Der zweite Partner in Blüms rentenpolitischer Dreieinigkeit, die BeitragszahlerInnen, haben mit höheren Abzügen (derzeit 18,7 Prozent des Bruttolohns) zu rechnen. Und der Staat soll in Zukunft seinen Zuschuß zum Haushalt der Rentenversicherung (derzeit 26,7 Milliarden Mark) parallel zur Entwicklung der Beitragshöhe steigern beziehungsweise (was unwahrscheinlich ist) senken. Dieser Mechanismus wird mit Blüms Konzeptionspapier mit dem Wortmonster „Beitragssatzanbindung“ belegt.