Das schnellste Muskelgebirge der Welt

■ Ben Johnson ließ seine Konkurrenten über 100 Meter förmlich stehen und siegte in neuer Weltrekordzeit Carl Lewis Zweiter in persönlicher Bestzeit / Engländer Christie als erster Europäer unter zehn Sekunden

Berlin (taz) - Als der in Jamaika geborene Kanadier Ben Johnson am Samstag aus den Startblöcken des 100-Meter -Endlaufes schoß, hatte er ganz gegen sonstige Gewohnheit nur einen minimalen Vorsprung gegenüber seinem Hauptrivalen Carl Lewis (USA). Auf den nächsten Metern zog der bullige Sprinter jedoch unaufhaltsam davon und lag an der Sechzigmetermarke mit 0,16 Sekunden in Führung. Seine größte Geschwindigkeit erreichte Johnson zwischen 40 und 50 Metern mit 43,37 Stundenkilometern, ein Durchschnittstempo, das auch Carl Lewis erzielte - allerdings erst zwischen 80 und 90 Metern, und da war es schon zu spät. Der 26 Jahre alte Kanadier widerlegte des Amerikaners boshafte These, daß Johnson nur ein 60-Meter-Läufer sei, der danach versuche, „irgendwie anzukommen“, büßte nur noch 0,04 Sekunden ein und raste mit der phänomenalen neuen Weltrekordzeit von 9,79 Sekunden vor dem düpierten Lewis (9,92), der immerhin das beste Rennen seiner Laufbahn bot, und dem neuen Europarekordler Linford Christie (Großbritannien/9,97) über die Ziellinie.

In diesem Moment hatte Johnson, der im letzten Jahr in Rom bereits Weltmeister geworden war, sein Einkommen glatt verdoppelt, wie sein Manager frohlockend bekanntgab, von zwei auf vier Millionen Dollar pro Jahr. Vertraglich vereinbarte Prämien für den Olympiasieg brachten ihm zudem mit einem Schlag 500.000 Dollar. Das Knistern imaginärer Geldscheine übertönte nach Augenzeugenberichten sogar den Jubel im Stadion.

Carl Lewis, der nach seinem Sieg gegen Johnson im August beim 700.000 Dollar-Duell von Zürich und guten Vorlaufzeiten sehr optimistisch ins Rennen gegegangen war, versuchte sich nach der Niederlage gelassen zu geben. „Ich bin über meine Vorstellung glücklich,“ behauptete der betrübten Blickes, „denn ich bin mein bestes Rennen gelaufen. Ab sofort gilt meine volle Konzentration den restlichen drei Disziplinen, die ich noch bestreiten werde.“

Der Traum, das Kunststück von Los Angeles zu wiederholen und vier Goldmedaillen zu gewinnen, ist indes früh geplatzt. Eine 100-Meter-Goldmedaille fehlt ihm in seiner Sammlung sogar völlig, denn die von Los Angeles gab er seinem Vater im vergangenen Jahr mit ins Grab. „Ich kann sie entbehren“, hatte er damals gesagt, „denn in Seoul hole ich noch eine“. Während also Lewis „für seinen Vater“ lief, sprintete Johnson „für seine Mutter“. Die lebt noch und bekam das Edelmetall nach der Siegerehrung umgehend ausgehändigt.

Das Erfolgsrezept des Kanadiers war denkbar einfach: „Ich habe alles genauso gemacht wie vor einem Jahr in Rom. Bewährtes soll man nicht verändern.“ Und später wagte der Olympiasieger auch noch einen Blick in die Zukunft: „Warum sollte ich nicht unter neun Sekunden bleiben können, wo ich doch ständig besser werde.“ Aber da hatte er zwecks Dopingkontrolle schon zehn Dosen Bier getrunken.

Matti