Mitten im Hausmüll sickert das Seveso-Gift

Auf der hessischen Hausmülldeponie Dreieich-Buchschlag wurden hohe Konzentrationen des Seveso-Gifts Dioxin gefunden / Landesanstalt für Umwelt hatte auf Giftmüllablagerungen durch den Chemieriesen Hoechst AG hingewiesen  ■  Aus Dreieich Michael Blum

Die orangefarbenen Müllkipper stauen sich bis auf die Bundesstraße zwischen der Autobahnabfahrt Zeppelinheim und Dreieich zurück. An manchen Tagen sind es mehr als 1.000 LKWs, die Frankfurter Hausmüll und Bauschutt zur Deponie Dreieich-Buchschlag bringen. Was Umweltschützer seit langem befürchteten, weist jetzt ein Gutachten des „Fresenius -Instituts“ nach: In der Deponie schlummern illegal abgelagerte hochtoxische Substanzen, darunter auch das Seveso-Gift Dioxin, eines der gefährlichsten Gifte der Welt. Dioxin ist akut giftig, erzeugt Krebs und schädigt das Erbgut. Es kann Hautschäden und auch Mißbildungen menschlicher Embryonen verursachen. Das Fresenius-Gutachten weist mindestens 16 chemische Verbindungen dieses Stoffes nach. Die Konzentration aller von den Wissenschaftlern gemessenen Dioxine und Furane liegt bis zu 23 Mikrogramm pro Kilo.

Seit Mitte der sechziger Jahre nutzt die Stadt Frankfurt die ehemalige Kiesgrube in der Weidenbornstraße 40 im Dreieich als Mülldeponie. Ohne Basisabdichtung wurde damals begonnen, jeglichen Frankfurter Müll, gleich welche Substanzen er enthielt, über die ehemalige Kiesgrube in das Grundwasser der Deponie im Landkreis Offenbach zu kippen. Eine sogenannte Basisabdichtung wurde erst vor drei Jahren als erste Sicherheitsmaßnahme eingebaut, die Folie wurde jedoch oberhalb der tatsächlichen Deponiesohle eingebracht. Erst mit Fertigstellung des „hessischen Abfallkatalogs“ 1977 wurde geregelt, daß in Buchschlag nur „Hausmüll und ähnliche Abfälle“ abgelagert werden dürfen. Nach Informationen des Sprechers des grünen Kreisverbandes, Jarosch, „wurde jedoch bis mindestens 1983 auch Giftmüll aus der Industrie abgekippt“. Die jetzt in einer Tiefe von 15 bis 18 Meter gefundenen Dioxine, Furane und polychlorierten Biphenyle (PCB) müssen angesichts „ihrer Fundstelle seit mindestens fünf Jahren in Buchschlag lagern“, so Jarosch. Zu dieser Zeit hatte die „Hoechst AG ihre werkseigene Deponie für Klärschlämme und Laborabfälle in Kriftel infolge der Undichte der Bodensohle auskoffern müssen. Ein Großteil des Krifteler Mülls kam dann nach Buchschlag“, berichtet der Grüne weiter.

Bereits vor Jahren hatte die Hessische Landesanstalt für Umwelt festgestellt, daß die Hoechst AG entgegen anderslautenden Konzernangaben auch Giftmüll aus der Pestizidproduktion nach Dreieich verbracht hat. Passiert ist seither nichts. Erst als die Darmstädter Staatsanwaltschaft im Juni 1988 ein Foto über eine vermeintliche Asbestablagerung anonym zugeschickt bekam, wurden Probebohrungen veranlaßt. Mit seinen dabei erzielten Analysen weist das „Fresenius-Institut“ in Taunusstein „außergewöhlich hohe Dioxin-Konzentrationen“ in der Deponie nach, die neben der Stadt Frankfurt auch von den US -amerikanischen Streitkräften im Rhein-Main-Gebiet genutzt wird. Das hessische Umweltministerium hat unterdessen die Untersuchungsergebnisse bestätigt, jedoch gleichzeitig erklärt, eine Gefährdung für die Bevölkerung bestehe nicht. Für Sofortmaßnahmen bestehe kein Anlaß. Lediglich an einer der fünf von Fresenius untersuchten Stellen sei die Konzentration so hoch, daß eine Vor-Ort-Überprüfung erforderlich sei, erklärte der leitende Ministerialbeamte Bodo Baars. Das wird so auch vom Frankfurter Mülldezernenten Daum (CDU) behauptet, der noch am 23.August dieses Jahres vor der Presse erklärt hatte, daß keine giftigen Abfälle in Buchschlag gelagert worden seien. Daum ist für die Frankfurter Deponie im Kreisgebiet von Offenbach verantwortlich. Ursprünglich hätte die Deponie bereits vor zwei Jahren geschlossen werden sollen, Daums für Frankfurt prognostizierter Müllnotstand verlängerte jedoch die Ablagerung. Bernd Abeln, CDU-Bürgermeister von Dreieich, fordert gleichwohl sofortige Maßnahmen zum Schutz des Grundwassers und der Bevölkerung. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß weitere Giftstoffe abgelagert wurden: „Die mangelnden Sicherheitskontrollen - nur jedes zehnte Fahrzeug wird auf seine Fracht hin untersucht - laden geradezu zum illegalen und preiswerten Abkippen von Giftmüll ein“, mutmaßt der Grüne Jarosch. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen einen städtischen Bediensteten, der über Jahre hinweg keine oder zu geringe Einlagerungsgebühren erhoben hat. Die Grünen verlangen, daß die Kippe, die neben der Müllablagerung vom Bundesforschungsministerium für ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Verhalten einer Hausmülldeponie“ genutzt wird, umgehend geschlossen wird: „Zwar ist ein Verfüllungsende ohnehin zum Jahresende 1989 vorgesehen, es geht aber nicht an, daß die Giftbombe so lange weitertickt.“