IWF bringt Bewegung in Bewegung

■ Über 4.000 TeilnehmerInnen kamen am Wochenende in die Berliner TU zum Kongreß gegen IWF und Weltbank

Erinnerungen an alte 68er Zeiten wehten auf dem Berliner IWF -Gegenkongreß durch die Hörsäle. Am Ende hofften nicht nur die zahlreichen Gäste aus der Dritten Welt, daß mit diesem Kongreß eine Wiederbelebung der Internationalismusbewegung und -debatte stattgefunden hat.

Am Ende fragten sich viele unschlüssig, was das denn nun gewesen sei, was man jetzt zwei Tage lang in den Räumen der Technischen Universität in Berlin miterlebt hatte. Auf dem Podium sprach man von „einem historischen Ereignis“ , unten im Auditorium und in den Gängen geisterte die Erinnerung an den legendären Vietnam Kongreß von 1968 durch die Gespräche

-mit einem Leuchten in den Augen und der vorsichtigen Einschränkung „ja aber damals...“. Den Jüngeren fällt der Tunix-Kongreß von 1978 ein, doch: „Auch der war irgendwie anders.“

Die Vergleiche mit der Vergangenheit greifen nicht ganz, und dafür, daß am Wochenende auf dem Berliner Gegenkongreß zur IWF- und Weltbank-Tagung tatsächlich etwas Neues, Zukunftweisendes passiert ist, dafür möchte niemand seine Hand ins Feuer legen. Fest steht am Ende vielleicht soviel: Der Gegenkongreß hat ein unerwartet großes Echo gefunden, etwas Vergleichbares hat es zumindest in den letzten zehn Jahren in der BRD nicht gegeben. Insgesamt 4.000 TeilnehmerInnen, mehr als je erwartet, zählten die Veranstalter, ein Trägerkreis aus über 120 verschiedenen Gruppen. Die Arbeitsforen, in denen ReferentInnen aus dem Inland und Ausland über die Rolle von IWF und Weltbank, über Konzepte einer Schuldenstreichung und eine neue Weltwirtschaftsordnung diskutierten, platzten bisweilen aus den Nähten. In viele Hörsälen der TU war nicht einmal mehr auf dem Fußboden Platz, und wenn sich in den Diskussionspausen die TeilnehmerInnen in der großen Halle zwischen Informationsständen und belegten Brötchen drängten, war Platzangst angesagt.

Allein daß dieser Kongreß überhaupt zustande kam und so viele TeilnehmerInnen anzog, hat ihn zu einem politischen Ereignis gemacht. „Als ich vor meiner Abreise japanischen Kollegen erzählte, wohin ich führe und daß wir dort über Weltwirtschaftsordnung und Schuldenkrise diskturieren würden, fragten die erstaunt, ob sich dafür denn überhaupt jemand interessiere“, berichtete die japanische Journalistin Yoko Kitazawa, „jetzt bin ich völlig überwältigt“. Verwundert über das große Interesse der jeweils anderen waren offenbar die meisten TeilnehmerInnen selbst, und das trug vielleicht dazu bei, daß über all dem Gedränge und Zigarettenqualm ein Hauch von Aufbruchstimmung, von vorsichtiger Hoffnung auf eine neue Internationalismusbewegung lag.

Der friedeheischende Beigeschmack von Müsli- oder Strickstrumpfkultur fehlte diesmal, und es herrschte trotz all der häufig ermüdenden Diskussionen eine ruhige, konzentrierte Atmosphäre. Vieles von dem, was in den Plenumsdiskussionen referiert wurde, war den meisten Anwesenden sicher nicht neu, und auf den fünf Diskussionsforen gab es nur selten grundsätzliche Kontroversen. Spannend wurde es etwa, wenn der Hamburger Ökonomie-Professor Rainer Tetzlaff eher für die Reformierung von IWF und Weltbank als für deren Abschaffung plädierte. Häufig mußte man zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen vagabundieren, um die unterschiedlichen Standpunkte mitzubekommen. Da plädierte z.B. Renate Lange-Bauer von der „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ mit den Worten „Wir alle hier im Saal müssen unsere eigenen Lebens und Verbrauchergewohnheiten verändern“ für eine Rückkehr zu einheimischen Produkten und für einen Boykott von Dritte -Welt-Lebensmittel in den Supermärkten. Wenige Räume weiter stellte Ludger Volmer von den Grünen gerade den Sinn eines solchen individuellen Konsumverzichts in Frage.

Eines jedoch war in mehreren Foren ersichtlich: die beschämend unbedeutende Rolle, die die sogenannte Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik und ihre Gewerkschaften bei der Diskussion um den Internationalismus spielen. Während der Vertreter des irischen Gewerkschaftsverbands eine ganze Reihe von Widerstandsaktionen etwa gegen Exporte nach Südafrika oder gegen die US-Intervention in Nicaragua nennen konnte, wartete der Vertreter des DGB, Hajo Keller, mit allgemeinen Appellen („Das Trennende beiseite schieben!“) auf.

Mit einer Engelsgeduld hatten die Gegenkongreß -TeilnehmerInnen zuvor den Berichten der ReferentInnen aus Uganda, Südkorea oder Brasilien zugehört. Doch bei den Ausführungen des DGB-Funktionärs riß vielen dann doch der Geduldsfaden. Als „ziemlich unerträglich“ gingen dessen Wortmeldungen häufig in Zwischen- und Buhrufen unter.

Als sich dann am Samstag abend gut 2.000 Leute zur Abschlußkundgebung ins Audi-Max drängten, waren sich die meisten wohl einig, daß dieser Gegenkongreß selber noch keine großen Veränderungen bringt, aber immerhin ein gelungener Auftakt war. Allein während der zweijährigen Vorbereitungszeit für diesen Kongreß hätten, so lobten die Veranstalter, die über 100 Gruppen des Trägerkreises viel voneinander gelernt und neue Bündnisse geschlossen. Und dafür, daß dieser Gegenkongreß ihnen „viel Mut und Kraft“ für die Arbeit in ihren Heimatländern gegeben habe, dankten die ausländischen ReferentInnen. „Der Kongreß ist Teil einer neuen Kultur, die aus der Graswurzelbewegung entsteht. Er ist ein neuer Anfang, altes Denken zu beseitigen“, rief Dan Nabudere aus Uganda den begeistert klatschenden ZuhörerInnen zu.

Sicher, hinter all der Freude sah man darüber hinweg, daß die Jüngeren, die unter 25jährigen, so gut wie gar nicht vertreten waren. Und, kritisierte eine der Teilnehmerinnen öffentlich, schlug man sich mit dem kräftigen Abschlußbeifall auch ganz kräftig selber auf Schulter. Immerhin klatschte das Auditorium auch Zustimmung, als Verena Rosenke vom Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) in ihrer Schlußrede davor warnte, IWF und Weltbank zu einem „neuen Modethema“ werden zu lassen und darüber die konkreten Aktionen zu vergessen. Ob es dieser Appell zu Aktionen war oder der Überdruß nach zwei Tagen Diskutieren: Ihr gemeinsames Abschlußkommunique, die „West -Berliner Erklärung“, mußten die Veranstalter jedenfalls vor ausgedünnten Rängen verlesen: Viele der TeilnehmerInnen hatten den Aufruf zu Aktionen ernst genommen und waren längst zu einer spontanen Demonstration durch die Berliner Innenstadt (siehe S. 10) aufgebrochen.

Vera Gaserow