80.000 sagen „Nein“ zum IWF

Größte Demonstration seit Jahren gegen Tagung von IWF und Weltbank in Berlin / Friedlicher Protest mit Phantasie und harten Worten / Aufruf zum Widerstand gegen „mörderische Weltwirtschaftsordnung“  ■  Von P.Plarre und W.Gast

Berlin (taz) - Eine der größten Demonstrationen in der jüngsten Geschichte Berlins richtete sich gestern gegen die Jahrestagung von IWF und Weltbank in der Halbstadt. Zwischen 70 und 80.000 Menschen (Schätzung der Veranstalter - nach Polizeiangaben 50.000) zogen in den Mittagsstunden bei Spitzenwetter mit Spitzenstimmung durch die Innenstadt in Richtung Congreß Centrum, um ihrer Solidarität mit den Völkern der „Dritten Welt“ Ausdruck zu verleihen und eine sofortige Schuldenstreichung und gerechte Weltwirtschaftordung zu fordern.

Die Demonstration, zu der rund 150 Organisationen Lateinamerika-, Friedens-, Frauen-, Ausländer- , Schüler-, Studentengruppen, kirchliche Gruppen sowie Gewerkschaften und Parteien - aufgrufen hatten, war in jeder Hinsicht eine Protestveranstaltung der Superlative. Riesige Pappmachee -Monster, Kraken, Schweine zum Beispiel, mit denen der IWF als „Blutsauger“ charakterisiert wurde, begleiteten den in 14 Blöcke unterteilten Zug. Mit Unterstützung vieler Theatergruppen und den Klängen von Blaskapellen, Folkloregesängen und Rockmusik aus neun Lautsprecherwagen wurden die Teilnehmer nicht müde, immer wieder „Stoppt die Ausbeutung und den Mord des Regenwaldes“, „Solidarität ist ein Waffe“ und „Internationale Völkermordzentrale: IWF“ zu skandieren. Hatte sich während des Marsches schon das Gerücht verbreitet, daß die Autonomen Gruppen, entgegen ihrer vorherigen Ankündigung, doch teilnehmen würden, übernahm nach der Hälfe der Strecke tätsächlich ein mehr als 1.000 Personen zählender schwarzer Block, zum Teil mit Haßkappen und Tüchern vermummt, die Führung des zweiten Teil des Zuges. Ebenso wie beim Mittelamerika-Block setzten sich auch diesem Block alsbald Kolonnen von Spalier bildenden Polizeibeamten auf die Fersen.

Darauf, daß die Mehrzahl der in der Tiefe des Raumes bereitgestellten Polizeieinheiten aus 5.300 Berliner und 2.700 westdeutschen Beamten kaum sichtbar waren, waren Innensenator Kewenig und sein Landespolizeidirektor Kittlaus mächtig stolz. Beide gaben nach der Hälfte der Strecke an der Spitze des Zuges ein kurzes Stelldichein und beglückwünschten sich vor versammlter Presse zum „friedlichen Verlauf“. Auf Nachfrage eines Reporters, ob noch mit gewalttätigen Ausschreitungen Fortsetzung Seite 2

gerechnet werde, erklärte Kittlaus: „Man darf den Tag nicht vor dem Abend loben“. Für Meldungen, nach denen am Rande des Zuges drei Fotografen von DemonstrantInnen geschlagen worden sind, gab es bis Redaktionsschluß keine Bestätigung.

In Sichtweite des Internationalen Kongreßzentrums fand die Abschlußkundgebung auf dem hoffnugslos überfüllten Kaiserdamm statt. Als Sprecherin für den BUKO (Bundeskongreß Entwicklungspolitischer Gruppen) forderte Brigitte Ott die TeilnehmerInnen der Kundgebung auf, „den Internationalismus zum integralen Bestandteil alter und neuer sozialer Bewegungen“ zu machen. Dabei sei die grausame Verelendung in der dritten Welt nur eine Seite der Medallie der „mörderischen Weltwirtschaftsordnung“. Die selbe Politik zwinge hierzulande die Arbeitslosen in die Ausgrenzung, führe zum Ausbau des Repressionsapparates, zur Unterdrückung der Frauen und zeige sich zudem in einem zunehmenden Rassismus der bundesdeutschen Gesellschaft. Wie der Sprecher der Vereinten Peruanischen Linken (Szcuierda unida), Vargas, und die Vertreteterin der südafrikanischen Gewerkschaft, Ccawusa, nannte auch Eva Michels für den Trägerkreis der Demonstration einen „neuen Internationalismus“ als Vorausetzung zur Überwindung der kapitalisischen Weltwirtschaftsordnung.