ein-drücke und aus-blicke

unser chefredakteur sprach mit der schweizer schauspielerin doris müller-mack über die anfänge des freien theaters, über die wege dahin und die wege danach  ■ hierhin bitte

das große bild von der

frau, bild nur. 4

Doris Müller-Mack

tazunser weg zum theater hat gemeinsam begonnen: wir hatten denselben ersten lehrmeister: ernst-georg böttger. was waren damals, 1969, deine ansätze zum theatermachen?

doris müller-mack: als erstes war da das bedürfnis, sich auszudrücken. ein-drücke wieder herauszugeben als aus-druck. die pantomime war für mich der richtige ansatz, es schien mir eine konkretere sprache zu sein als der tanz.

ich erinnere mich, dass sich damals für uns ein gewisses misstrauen einstellte - der klassisch-realistischen pantomime gegenüber.

ja, es war ein gutes übungsfeld, um sich in konkreten bewungsabläufen zu schulen, es war ein gutes mittel, den körperausdruck zu schulen.

eine weitere gemeinsame ausbildungsetappe war rom, aber auch

in zürich gab es eine menge von begegnungen, die uns sicherlich beeinflusst haben.

dazu fallen mir viele begegnungen ein, auch die studentenrevolte - das zusammenleben in einem kollektiv, in dem wir versuchten, einen gemeinsamen künstlerischen ausdruck zu finden. der anspruch, dass was in politischer bewußtseinsbildung passierte, umzusetzen in das privatleben und ins künstlerische. wir haben damals getan, was wir konnten, wir sind sicher nicht weit genug gegangen mit unseren ideen. ich spüre, dass dieses „kollektiv“ noch immer in mir umhergeistert. ich wünsche es mir in form eines geistigen vorganges, in dem menschen sich verbinden, um gleichberechtigt zusammenzuarbeiten.

was waren für dich weitere stationen der ausbildung?

wichtige impulse kamen von lecoy (paris), dann die improvisationsarbeit mit jean-martin roy vom theatre creation, lausanne.

du hast lange in hannover gespielt.

das war die zeit des emanzipatorischen theaters, des politischen theaters. ich spielte 1976 bis 1980 bei der theaterwerkstatt hannover. das war für mich die chance, in der politischen landschaft der bundesrepublik, durch meine fähigkeit, theater zu spielen, mitzuwirken. wir haben mit der form des „rituellen theaters“ versucht, uns eine kollektive sprache zu

schaffen. danach kam die zeit der frauenbewegung. mit der theaterwerkstatt hatten wir uns zerstritten, und wir fragten uns dann, welche rolle hatten wir frauen in diesem kollektiv gespielt. mit der „unterstützerfunktion“ wollten wir uns nicht mehr zufrieden geben. es entstand die frauentheatergruppe „schedderhecks“. wir machten stücke, in denen wir die welt aus der sicht der frau zu zeigen versuchten. später, als diese gruppe auseinanderging, wurde ich zur einzelgängerin. ich gab theaterkurse. mein frauenbewusstsein verwandelte sich in selbstbewusstsein.

du kamst dann nach bremen

ich arbeitete ein jahr beim moks-theater. gereizt hat mich, wie immer schon, der anspruch des mitspiel-theaters. die auflösung schauspieler-rampe-zuschauer. ich arbeitete in zwei produktionen mit. dann entschloss ich mich endlich, die weltreise zu machen.

was sind jetzt deine pläne fürs theater?

ich nehme ein wenig abstand von der darstellung des theatralen produktes. ich möchte theater-spielformen und techniken an menschen weitervermitteln, die sich ausprobieren wollen. theatermachen, um sich auszudrücken. es gibt in diesen techniken eine kraft, die heilend wirken kann.

heisst das, dass der vorgang des theaterspielens sich für dich wan

delt zu einem prozess der therapie?

ja und nein. es nur einfach als therapeutischen prozess anzusehen, engt mich schon wieder ein, wenn es sich nur auf das spielende individuum bezieht. wenn es alles wieder zu einem punkt führen kann, zu einem gesamt-geschehen, wo der zuschauer zum beteiligten wird, kann dies zu einem veränderten bewusstsein führen. das traditionelle theater holt die menschen immer nur gerade da ab, wo sie sich gerade befinden. die gesellschaftlichen vorgänge, die herrschenden bewusstseinsstruktuen, das wird immer wieder reproduziert und kommt auch an. aber da verändert sich nichts.

du hast eine lange zeit politisches theater gemacht. was du jetzt anstrebst - ist das politisch?

es sieht vielleicht auf den ersten blick weniger politisch aus, denn niemand kämpft da gegen irgendwen. aber auf den zweiten blick - wenn die menschen sich auf diese kreative weise bewusst mit der welt auseinandersetzen - zeigt es sich als sehr politisch. denn das ist es doch, was an allen ecken und enden fehlt: bewusstheit.

du hast zwei kurse ausgeschrieben

ja, ich versuche eine gruppe aufzubauen von frauen, die lust haben, frauentheater zu machen, sich selbst als frau darzustellen, auszudrücken.

das interview führte: jürgen müller-ohtzen