die freiheit des freien theaters

■ freies theater - was war, was kann das sein? vom widerstand gegen etabliertes kunstverständnis, von desperados zu almosen-schnappern / lieber „unfrei“ im widerstand als seicht bezuschusst? ein beitrag zum '1. festival‘

„freies theater“, so nannte man sich einmal mit mehr stolz und froh, dann wieder eher verzagt. „freies theater“ ist heute ein begriff, der lange viel mehr als ein begriff war. es war etwas, womit man lebte. es war eine form des widerstands gegen starre gesellschaftliche normen, gegen etabliertes kunstverständnis und gegen rechtsgültige ästhetik. sicher - „freies theater“ war natürlich alles andere als frei, aber um diese fehler in der eigenen identitätsgebung kümmerte sich niemand. man war desperado, aussenseiter und verklärter poet, jedenfalls an

ders. bei gemeinsamen festivals, die natürlich von etablierten organisiert waren, spielte man sein „anderes theater“, stellte man vor, wie welt und theater sein sollten. man traf sich in irgendwelchen ländern, in irgendwelchen städten, an irgendwelchen festivals. es gab eine erstaunliche solidarität unter den freien theatermachern. sie kannten ihre gemeinsame grundeinstellung und akzeptierten ihre verschiedenartigen künstlerischen herangehensweisen. über die formen des widerstandes, des „frei-sein-wollens“ wurde sehr ernsthaft und

gemeinsam nachgedacht.

preisverleihungen hier und dort wurden scharf kritisiert, weil man dies als verhöhnung des gesellschaftlichen verständnisses, das man doch vertrat - nämlich: das wettbewerbs- und konkurrenzdenken abzubauen - wertete. nicht, dass man das geld nicht gebraucht hätte. die „freiheit des überlebens“ war für viele gruppen die grosse unfreiheit. es begann die zeit des sich-organisierens. in der „gemeinsam-sind-wir-stark„-attitüde begann man bei behörden, stadtverwaltungen und kulturämtern auf den eigenen

selbstwert hinzuweisen. waren wir uns doch längst einig, mindestens gleichviel „wert“ zu sein wie die städtischen bühnen, die uns belächelten, da wir keine mittel und somit keinen gesellschaftlichen status hatten, und in unserer widerstandspose ja auch gar nicht „kunst“ herstellen konnten!? wir betrachteten es als unseren wert, „näher am leben“ zu sein. wir gingen zu den leuten, wir brachten theater zu denen, die der etablierten kunst eh‘ misstrauten.

unterdessen begann die staatliche bühnenmaschinerie, nach

unseren lebendigen spielformen zu schnappen. mit grossem aufwand inszeniert und zu publikumsträchtigen high-lights hochstilisiert, fanden wir unsere bunten ideen, unseren theaterwirksamen widerstand auf den grossen bühnen wieder, während wir unsererseits nach almosen schnappten, die uns von kulturbehörden da und dort zugeworfen wurden. wir begannen, uns in stundenlangen sitzungen gegenseitig über die frage nach der gerechten verteilung von almosen aufzureiben. dann kam die neue losung: professionalisieren. das war nicht das

schlechteste, wir konnten eine selbstbesinnung auf unser berufliches handwerk gebrauchen. produktionszuschüsse geben immerhin einen anreiz, besser zu werden. wir wurden besser, aber für einige tausend mark wurden wir leider oft auch seichter. es steht zu hoffen, dass freies theater sich nicht selbst zu einem begriff verkommen läßt, sondern - wenn auch materiell oft unerträglich „unfrei“ - im widerstand solidarisch bleibt, mit all denen, die daran glauben, dass bewegung notwendig zum leben ist. jürgen müller-othze