Überlebenskampf eines Anachronismus

Abgekapselt in einer heilen Welt und streng bewacht hat das Olympische Jugendlager im heutigen Medienspektakel nur noch eine Alibifunktion  ■  Aus Seoul Jürgen Kremb

Die Adresse verrät nichts Gutes. „Zentrales Politisches Trainingsinstitut der Demokratischen Gerechtigkeitspartei“, steht noch auf einem Schild an der Mauer eines riesigen umzäunten Areals am Stadtrand von Seoul. Doch wo einst der Militärdiktator Chun Doo-Hwan, und auch heute noch sein Nachfolgepräsident Roh Tae-Woo, ihren politischen Nachwuchs schulen ließen und lassen, ist wie überall in Seoul der olympische Geist mit aller Macht eingezogen. Die 48 Fahnen im Hof verkünden es, vom 15. September bis zum 2. Oktober ist hier das Jugendlager des Sportspektakels mit 1.000 Teilnehmern aus fünf Kontinenten untergebracht.

„Eines der Hauptziele der Olympischen Bewegung“, heißt es in einer Beschreibung des Olympischen Organisationskomitees über das olympische Jugendcamp, „ist es, die Jugend durch Sport im Geiste des Verstehens und der internationalen Freundschaft zu erziehen.“ Daß man da im gerade liberalisierten Südkorea manchmal lieber auf polizeistaatliche Nummer Sicher setzt, bemerkten die 54 bundesdeutschen Jugendlichen (aus der DDR sind ebensowenig welche gekommen wie aus der UdSSR und der VR China) und ihre acht Betreuer schon in den ersten Tagen. Bundeswehrsoldat Sascha Kurz, der es eigentlich ganz toll findet, „daß jeder seine letzten Brocken Englisch hervorkramt, um sich mit so vielen Nationen zu verständigen“, nervt nur eines: „Die vielen Uniformierten hier. Ich komme mir ja vor wie im Ostblock.“ Auch Betreuer Gerd Hufschmidt, Vorsitzender des Fachausschusses für internationale Jugendarbeit bei der 'Deutschen Sportjugend‘ (djs), hat Beobachtungen gemacht, die seiner Meinung nach nicht zum eher freundlichen Charakter der Jugendbegegnung am Rande von Olympia passen. „Hier auf den Dächern steht überall Polizei, und wenn sich Jugendliche im Hof versammeln, dann folgt ihnen eine Kamera.“

Was das Ganze erträglich mache, meint Hufschmidt, sei, „daß es charmant vorgebracht wird.“ Doch ansonsten findet auch er: „Wir wurden hier in einer heilen Welt abgekapselt, die wenig mit Korea zu tun hat. Keine Armen, keine Demos.“

Für das Jugendlager ohne Wettkampfcharakter und Vermarktungschancen scheint im Medienspektakel Olympia kein Platz mehr zu sein. „Allenfalls eine Alibifunktion für das alte Ideal von 'Dabeisein ist alles‘ hat es noch“, meint der Umschüler Christian Kops (20).

1912 vom schwedischen König Gustav V. bei den Spielen in Stockholm für 1.500 Pfadfinder ins Leben gerufen, schien für den Anachronismus in Los Angeles 1984 kein Platz mehr zu sein. Als die 'djs‘ trotzdem im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein Camp auf die Beine stellte, verweigerte das Kommerz-Organisationskomitee nicht nur eine Geldspende, sondern untersagte auch den Gebrauch des Markennamens „olympisches“ Jugendlager.

In Seoul sehen die jungen Deutschen deshalb ihre Aufgabe vor allem darin, „Akzente zu setzen“, so Christian. Im Gegensatz zu Delegationen aus anderen Ländern, in denen 18 -22jährige verhinderte Olympiahoffnungen ihren Platz gefunden haben, ist Sport allein kein Flugticket ins Land der Morgenstille gewesen. Zwar mußten die Bewerber alle das Sportabzeichen vorweisen, doch wer als Übungsleiter im Verein arbeitet, wurde genauso zur Aufnahmeprüfung zugelassen wie junge Leistungssportler.

In dem Test ging es um soziales Verhalten und Allgemeinbildung. In zwei Vorbereitungswochenenden wurde koreanische und bundesdeutsche Landeskunde gebüffelt. „All das hat den Vorteil“, meint Sascha, „daß hier keine ausgesprochenen Stoffel herkommen.“