Schönheit der Stadt unter Statistikern

■ Zur bundesweiten Jahrestagung der „Deutschen Statistischen Gesellschaft“ durfte ein Referent über Schönheit reden Plädoyer für Stadtplanung, die nicht den unmittelbaren privaten Geschmack, sondern Kenntnisse zur Grundlage hat

Wie einen bunten Vogel hatten sich die Herren der Zahlen zu ihrer jährlichen „Jahrestagung des Verbandes Deutscher Städtestatistiker“ einen eingeladen, der für's Utopische zuständig war. Und „ein bißchen exotisch“ fühlte sich Stephan Reiß-Schmidt gestern auch in der Bremer Glocke, als er im ehrwürdigen Saal vor blau und grau betuchtem (Herren -)Publikum sein Thema vortrug: „Die Schönheit der Stadt“, das trockener und weniger emphatisch als „Die Zukunft der Städte“ im Programm betitelt war.

Wer den Blick aus dem düsteren Raum durch die alten Fenster auf die Domsheide schweifen ließ, hatte gleich das umstrittene Objekt jüngster bremischer Stadtplanung vor Augen: den backsteinroten „Kirkeby„-Turm, der erstens als Straßenbahn-Tower

funktionieren und zweitens nach der Absicht der Architekten und Planer ein gestalterisches Highlight darstellen soll.

Der Essener Stadtplaner und Architekt Stephan Reiß-Schmidt begann vor den versammelten Statistikern mit einer Distanzierung von ihrer Zunft: „Sie denken, daß die unsichtbaren 'hard facts‘ die Stadt zusammenhalten, mir aber geht es um die kulturell-ästhetische Dimension des Sichtbaren.“ Der eindimensionale Glaube noch der 60er Jahre an die Meßbarkeit, Machbarkeit sei seit mehr als 15 Jahren endgültig entzaubert: „Diese Planer betreiben die Abschaffung der Stadt, sie soll um jeden Preis funktionieren, aber schön braucht sie nicht zu sein!“ Dagegen plädierte Reiß-Schmidt dafür, die Schönheit der Städte „als Gesamtkunstwerk“ zu gestalten, das mehr sei als „ver

niedlichte Traditionsinseln der Altstädte, die Einkaufspassagen, die neongrellen Vergnügungsviertel, die Poesie der Banlieu, die vornehme Distanz der Villenviertel“.

Beispiel Infrastruktur: Die rein auf den Autoverkehr ausgerichteten Hauptverkehrtsstraßen („Magistralen“) gehörten umgebaut und re-integriert als Raumgerüst der Stadt. Busspuren, Busalleen, Halte-und Verknüpfungspunkte bieten Chancen zur Neugestaltung des Stadtraumes, statt zur Teilung und Zerstörung. Abwasser-Kanäle und Funktürme, wären sie der Verfügungsgewalt der Ingenieure entrissen, könnten Straßenraum neugestalten und „Stadtzeichen“ setzen. Statt zerstörte und entwertete Flußufer oder ausgefranste Ortsränder könne Gartenkunst und Entsiegelung Räume ästhetisch neu kulti

vieren.

Beispiel Material: Fassaden, Dächer und Straßenbeläge, in mittelalterlichen Städten einheitlich, ist einer beliebigen Vielfalt industriell hergestellter und „zumeist wenig brachbarer“ Angebote des Baustoff-Marktes gewichen. „Ein einheitlicher Materialkanon“, so Reiß-Schmidt, müsse bewußt eingesetzt werden.

Die Schönheit der Stadt soll „Öffentliches Gut“ sein, „unteilbar und nicht nur für die, die es sich leisten können“. Nach mehr als 40 Jahren ohne Krieg und Zerstörung liege - auch städtebaulicher - Sprengstoff jetzt in der Differenzierung der Lebensstile der Zweidrittel -Gesellschaft: „Es kann zu einem harten Nebeneinander von Zonen des Verfalls und eine nostalgischen Urbanität simulierenden Inseln des Luxus kommen.“

Das Ergebnis soll aber auch nicht „mittlere Häßlichkeit für alle“ sein. „So was hört sich leicht ein bißchen elitär an“, sagte Reiß-Wolf später gegenüber der taz, „aber man darf sich nicht an den ästhetischen Defiziten orientieren. Das ist auch eine pädagogische, geradezu eine missionarische Aufgabe.“ Am Bremer Turm-Beispiel gedacht: „Hier wurde es unternommen, einen zerstörten Raum zu mildern“, urteilte Reiß-Schmidt vorsichtig über den Bremer Turmbau, „ohne die Geschichte des Platzes, der Steine, die Funktion zu kennen, kann ich das nicht bewerten. Wenn die Leute diese Kenntnisse nicht haben, muß man es ihnen eben erklären.“ Das war ein Plädoyer für verbindliche Kriterien der Schönheit, gegen zufällig persönlichen Geschmack - aber auch der Stadtplaner.

Reiß-Schmidt stellt sich „Gestalungs-Beiräte“ vor, nicht einen alleinherrschenden Stadtplaner, der das Projekt „Schönheit der Stadt“ umsetzt. Einzelstücke - „ein Heizkraftwerk, ein Transformatorenhaus, bleiben eine schöne Brosche am tristen Kleid“, ein Netzwerk, ein Gesamtkonzept für Wege, für strukturiertes Grün, konsequent gestaltete Bauten und Einrichtungen etwa von Verkehrsunternehmen sind ein richtiger Schritt für's Ganze.

Sein Nachredner war dann ein Statistiker. Ihm ging es auch um „Strukturwandel“. Er meinte damit: „Zahl der neuen Arbeitsplätze minus weggefallene Arbeitsplätze. Das ist zwar nicht komplex, läsß sich aber statistisch gut ausweisen.“ Susanne Paa