Geschmacklos-betr.: "Flips uns Flops", taz vom 22.9.88

Betr.: „Flips und Flops“,

taz vom 22.9.88, S.7

Mit diesem Kommentar (?) habt ihr euch einen üblen Flop geleistet. Man mag zu Olympia stehen wie man will, aber „Sperber und Stümper“ ist für mein Empfinden über die Maßen geschmacklos.

Ich weiß nicht, wem ihr euch anbiedern wollt oder wem ihr euch anbiedern zu müssen glaubt, aber ich war doch ziemlich erschrocken. Auch mit bemüht-lustigem Unterton (“..., daß in Bayern die Politiker gemeinhin etwas großvolumiger sind als anderswo“). Menschen als Zielscheibe anzubieten, finde ich unstatthaft und absolut daneben.

Im übrigen finde ich für mein Teil solchermaßen dümmlich -mißglückte Ironie, wie sie hier zu lesen ist, immer besonders peinlich. Daß die taz so manchen harten Brocken bietet, daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt, und es ist gut, daß die taz nicht stromlinienförmig schreibt, sondern zum Denken und zum Nachdenken herausfordert.

Heute war es aber menschenverachtend - schade! Mit trotzdem freundlichen Grüßen

Manfred, Bremen

Noch bevor der IWF-Gipfel begonnen hat, hat die taz bereits den Gipfel der Geschmacklosigkeit erreicht. Von welcher Seite mensch diesen Artikel auch betrachtet, ob von den SportlerInnen aus, die da neben jene gestellt werden, die versuchen, jemanden umzubringen, wie auf der Seite der TäterInnen von Bonn, die da plötzlich zu „SportlerInnen“ werden: Die Perspektive ist übel. Vergleiche dieser Art bin ich eher aus Bonn gewöhnt, und, falls es witzig sein sollte, so kamen solche Witze bisher aus Washington. Der Schreiber Matti sollte sich überlegen, neben wem er sich mit seinem Artikel selbst gestellt hat. Mich jedenfalls läßt dieser Stil fragen, welche Zeitung ich in den Händen halte.

(Muß ich dabei erwähnen, daß ich Schießen als olympische Disziplin fehl am Platze finde?)

Gleichzeitig ist selbst ein so tiefer Griff ins Klo wie dieser Artikel zweitrangig gegenüber dem Hintergrund, der durchscheint. Denn die Strategie der RAF, wie sie sich in den Schüssen auf Tietmeyer und ihrem Bekennschreiben darstellt - geht sie hier bereits auf? Nachdem die RAF durch den Mord an G. von Braunmühl unter Legitimationsdruck geriet, dem nachzukommen sie niemals die Courage (oder Fähigkeit) hatte, antwortet sie jetzt mit einem Anschlag, der zum Ausdruck bringt, daß sie bedacht haben, wie sie ihre Aktionen besser verkaufen. Es wird ein Opfer gewählt, daß der „Basis“ besser zu verklickern ist als hinreichend böse. Nachdem der IWF schon seit Wochen und Monaten Thema ist, schien ein Repräsentant dessen sich dafür bestens zu eignen. Ist der zynische und z.T. flapsig-pubertäre Tonfall ein Zeichen dafür, daß mensch sich diesmal (zum Glück?) nicht soviele Gedanken über das Opfer machen muß, und das vermutlich nicht nur deshalb, weil es glimpflich davonkam? Für mich jedenfalls besteht ein unlösbarer Widerspruch zwischen dem „selbstbestimmten Leben“, der „menschlichen Gesellschaft“, wie es so schön im Bekennerschreiben heißt, und den Schüssen auf andere Menschen.

Ein anderer Punkt ist: Bedenkst du, Matti, wie sich Ereignisse vernetzen und aufeinander einwirken? Da erscheint die Parole „IWF angreifen“ auf -zig Häuserwänden, auf taz -Adressenaufklebern (wenn die verantwortlichen tazlerInnen ein verbales, argumentatives Angreifen meinen: Es gibt Kontexte, die das deutlich machen, und solche, in denen die konkrete Bedeutung mindestens gleichwertig mitschwingt. So strapaziert, wie diese Worte derzeit sind, ist die Bedeutung offen für das, was jede/r Einzelne hineinlegt.) und weiß-der -Geier, wo sonst noch, und wen überrascht es dann, wenn auch ganz konkret angegriffen wird, sei es mit Eisenstange wie in Hamburg oder mit Schrotgewehr in Bonn. Mattis Tonfall suggeriert Harmlosigkeit und trägt bei zu einem Klima, in dem kein Verhältnis zu den eingesetzen Mitteln mehr besteht: Was ist morgen noch ein Zwille, nachdem gestern schon größere Waffen benutzt wurden? Mir fällt da noch eine Parallele ein: 1967 ging es um die Verantwortung der Springer-Presse für den Tod Benno Ohnesorgs. Wer trägt heute die Verantwortung wofür - und wofür nicht?

Torsten Bühring, Kiel