Mauss als „agent provocateur“ der „Feuer-Mafia“?

Niedersächsische Kriminalbeamte suchten nach geeignetem Objekt für italienische Brandstifter / Mauss soll 1981 mit Billigung der Polizei zwei Männer zum Zündeln einer Luxusyacht auf Rhodos angestiftet haben / Geheimaktionen jetzt Fall für den Staatsanwalt?  ■  Aus Hannover Wolfgang Becker

„Je konkreter die Fragen, desto geringer die Auskunftsbereitschaft“. So charakterisierten Mitglieder des „Celler Bombenausschusses“ letzte Woche in Hannover den Auftritt eines Zeugen, der es jahrelang geschafft hatte, sich Gerichten und Parlamentarischen Untersuchungen zu entziehen. Werner Mauss, aktueller Beruf „Kaufmann“, früher „ziviler Mitarbeiter des BKA“, stand in den abgeschirmten Räumen einer hannoverschen Polizeikaserne den Parlamentariern an zwei Tagen Rede und Antwort. Im Mittelpunkt der bis zuletzt geheim gehaltenen Vernehmungen standen Mauss-Aktionen mit niedersächsischen Polizeidienststellen. „Regie geführt hat dabei immer Mauss“, resümierte einer der Landtagsabgeordneten, die seit bald zwei Jahren das „Celler Loch“ aufhellen wollen; der Ausschuß soll die Hintergründe der Verfassungsschutz-Bombe vom Juli 1978 an der Außenmauer der Justizvollzugsanstalt Celle klären.

Während eine direkte Beteiligung des beweglichen Geheimagenten an der Mauersprengung inzwischen auszuschließen ist, bestätigte die bisherige Beweisaufnahme groteske Details einer Vermischung privatwirtschaftlicher, polizeilicher und geheimdienstlicher Aktivitäten: Etwa bei der Operation „Neuland“, wo Mauss und niedersächsische Verfassungsschützer nach Gran Canaria und Algerien reisten und sich dort an einem Attentat auf den Führer der kanarischen Befreiungsbewegung MPAIAC beteiligten.

Auch mit niedersächsischen Polizisten flog der Detektiv, in der Regel auf Kosten der Versicherungen, in seiner Cessna zu Einsätzen quer durch Europa. Kostenfrei für die Landeskasse, aber nicht immer ohne Konsequenzen für die beteiligten Staatsdiener. Abtreten mußte etwa der langjährige Oberermittler des Landeskriminalamtes (LKA), Kriminaldirektor a.D. Karl-Heinz Müller, der mit LKA -Briefkopf bei den Versicherungen Gelder für Auslandsermittlungen abforderte und Beträge von mehreren Tausend Mark aufs Privatkonto leitete. Erst als diese „Mischfinanzierungen“ öffentlich wurden, ließ Skandalminister Hasselmann den Beamten suspendieren. Jetzt ist „KD“ Müller auch ins Visier des zur Klärung diverser „Polizeiaffären“ eingesetzten Oberstaatsanwalts Hans-Dieter Jeserich geraten: Der Kriminaldirektor soll nicht nur Reisekosten falsch abgerechnet, sondern auch zu geheimen Polizeieinsätzen seine Freundin mitgenommen haben. Etwa im Sommer 1982 nach Sardinien, wo Mauss und die deutschen Beamten gemeinsam Ermittlungen gegen organisierte Brandstifter führten. Hintergrund: Von 1975 an waren im norddeutschen Raum annähernd 80 Objekte, überwiegend von Italienern betriebene Diskotheken und Restaurants, niedergebrannt worden. Es gab Tote, der Sachschaden lag bei über 10 Millionen Mark. Für die Polizei ein Fall von organisierter Kriminalität. Für die Versicherungen ein Fall für Mauss.

SoKo in Zusammen

arbeit mit Mauss

Im März 1981 nahm in Hannover die LKA-Sonderkommission „Zitrone“ die Arbeit auf. Schon Ende Mai stieg der Detektiv in den Einsatz ein: „Nach Einblicknahme der uns übersandten Unterlagen konnten von uns folgende Täter als Hauptzielpersonen für einen von uns zu organisierenden, konspirativen Einsatz festgestellt werden“, notierte Mauss in einem bis heute als Verschlußsache behandelten Geheimbericht. Es folgt eine Liste seiner Meinung nach hauptverdächtiger Italiener: ein als „Pate“ der „Feuer -Mafia“ gehandelter Gaststätteneinrichter aus Oldenburg sowie zwei Diskobetreiber aus Bremen. „Es gelang uns“, so der Mauss-Bericht weiter, „konspirativ in den Täterkreis vorzustoßen und die für die kriminellen Handlungen direkt Verantwortlichen der kriminellen Vereinigung zu identifizieren.“

„Mit einer entsprechenden, durch psychologische Maßnahmen abgestützten Legende“ gelang es dem als Oberganoven getarnten Versicherungsdetektiv, zwar nicht an den „Paten“, wohl aber an die Handlanger heranzukommen. Daß es dabei nicht gerade rechtsstaatlich zimperlich zuging, scheint jetzt auch Sonderermittler Jeserich im niedersächsischen Innenministerium zu vermuten.

Im Visier des Staatsanwalts

In seinem Bericht für den Untersuchungsausschuß über die Arbeit der „SoKo Zitrone“ wirft Jeserich die Frage auf, ob Mauss sich bei seinem Mafia-Einsatz nicht gar der Anstiftung zu Straftaten schuldig gemacht hat. Mauss - ein „agent provocateur“?

Was der Oberstaatsanwalt damit meinen könnte, war am Freitag abend im dritten Programm des WDR zu sehen: Das Magazin 'ZAK‘ (Zeitgeschehen Aktuell) präsentierte den ehemaligen Leiter der „SoKo Zitrone“, den frühzeitig pensionierten Kriminalhauptkommissar Rainer Hoffmann. Der deutsche „commissario“, von Mauss und Apparat alleingelassen, sieht seine Arbeit in der Rückschau heute in einem anderen Licht: „Die Mauss-Aktionen“ hätten ihn letztlich auch um seinen Job gebracht, sagte Hoffmann im WDR -Interview. Was der Beamte unter Hinweis auf seinen Dienstgrad vor der Kamera nicht offenbarte: Mit ausdrücklicher Billigung der Polizeiführung stiftete Mauss seine „Zielpersonen“ zu Brandstiftungen an. „ZAK“ brachte zwei Beispiele: Am 6. November 1981 nahm die griechische Polizei im Hafen der Ferieninsel Rhodos einen Deutschen und einen Italiener kurz vor dem Anzünden einer Luxusyacht fest.

Keiner der verhinderten Brandstifter ahnte, daß ihr Auftraggeber, jener weltmännisch auftretende Obermafiosi, mit richtigem Namen Werner Mauss hieß. In Absprache mit dem niedersächsischen LKA hatte der Privatdetektiv die Ganoven in die Ägäis gelotst, um sie hinter Gittern zu Geständnissen über die norddeutschen Hintermänner der „Feuer-Mafia“ zu bekommen.

Aktion mißlungen

Teil eins des Plans klappte auch - zwar erst im dritten Anlauf. Zunächst sollte die Motoryacht in Piräus abgebrannt werden. Doch als die von Mauss engagierten Brandstifter dort eintrafen, war das Schiff schon ausgelaufen. Nach Rhodos schließlich mußte Mauss seine Männer zweimal schicken: Beim ersten Versuch roch einer der Brandstifter die Polizeifalle. Teil zwei des Plans ging schließlich völlig daneben: Auch in griechischer Haft schwiegen die Ganoven aus Niedersachsen wie ein Grab. Nicht nur über ihre Mafia-„Paten“ daheim, sondern auch über ihren Auftraggeber und dessen Absichten auf Rhodos.

Vorwürfe bestritten

„Ich war Tourist. Ich saß an der Mole, hatte acht Baccardi getrunken, als ich plötzlich verhaftet wurde“, behauptet der 51jährige Vittorio P. noch heute. Für sein Schweigen saß er 39 Monate in Griechenland ab. Mit Reportern möchte der drahtige Sarde, der heute in Bremen-Nord lebt, nicht reden. „Du kannst was in die Schnauze kriegen“, droht er schon am Telefon. „Weißt Du nicht, was die mit meiner Hand gemacht haben?“ Tatsächlich gibt es Berichte, daß Mauss zusammen mit Kriminaldirektor Müller kurz vor Weihnachten 1981 nach Griechenland flog, um bei den Inhaftierten die erwünschten Aussagen zu bekommen. In diesem Zusammenhang wurden Vittorio P. von einem Gefängnisaufseher Zähne ausgeschlagen und Finger gebrochen. Sollten hier Geständnisse durch Folter erpreßt werden?

Das Fernsehmagazin 'ZAK‘ veröffentlichte am vergangenen Freitag ein weiteres, grotesk anmutendes Detail, aus dem konspirativen Wirken des Multiagenten. Bereits im Frühherbst 1981 bestand der Plan, von Mauss bestellte Brandstifter auf frischer Tat festzusetzen. Während die aus Sardinien eingeflogenen Ganoven schon im Frankfurter Hotel „Sheraton“ auf ihren Einsatz warteten, suchte die niedersächsische Polizei hektisch nach einem geeigneten Tatobjekt. 14 Tage lang erkundete ein LKA-Fahnder, heute Kripo-Vize in einer Kleinstadt bei Hannover, diverse Räumlichkeiten auf ihre Tauglichkeit. Nach Rundflügen im Polizeihubschrauber fiel die Wahl schließlich auf eine Möbelfabrik in Dissen bei Osnabrück. Erst im letzten Moment blies die Kripo die Mauss -Aktion dann doch noch ab: Dem verantwortlichen SoKo-Leiter war die Sache - sehr zur Verärgerung seiner Chefs - „zu heiß“ geworden: Es hätte ja bei einer Einsatzpanne die ganze Fabrik abbrennen können.

Hasselmann: „Einzelfall“

Hauptkommissar Hoffmann mochte hierzu vor der Kamera nicht Stellung nehmen: „Fragen Sie doch meine Vorgesetzten!“

Doch die halten sich bedeckt - aus guten Gründen. Ex-LKA -Direktor Waldemar Burghard räumt zwar die ungewöhnlichen Aktivitäten seiner Leute mit Mauss ein, möchte sich aber öffentlich nicht äußern; er sei schließlich Pensionär. Auch seinen Abteilungsleiter „KD“ Müller drängt es heute nicht mehr in die Medien. Früher um keinen Spruch verlegen Kostprobe: „Wir nannten uns SoKo Zitrone - weil wir bei einem Mißerfolg mit Zitronen gehandelt hätten“ - hüllt er sich heute in Schweigen. Der amtierende Innenminister, für gewöhnlich schlecht informiert, hält ohnehin alles für einen „Einzelfall“. Für Hasselmann sind „Affären“ bis zum Beweis des Gegenteils grundsätzlich „Phantastereien“ einer linken Kampfpresse. Bleibt der Zeuge Werner Mauss. Doch der blieb bis heute die volle Wahrheit zur „Operation Zitrone“ schuldig.