Prachtvolle Miß Filz

Die Ästhetik-Debatte um das Fräuleinwunder vom Centre Court  ■  FLIPS & FLOPS

Ihre Schlagkraft ist unumstritten, ihre Spielkunst unerreicht. Gestern noch besiegte sie die Sowjetrussin Sawtschenko und steht im olympischen Halbfinale. Doch mit jedem Sieg mehren sich die nörgelnden, quengelnden, geifernden Stimmen der Unpatriotischen, denen das alles zu langweilig wird. Ja wirklich, es scheint schon Menschen in diesem Lande zu geben, die auf eine Niederlage von Steffi Graf, möglichst jetzt in Seoul, geradezu hoffen. Das ist unzweifelhaft ein Ausdruck von Neid und Niedertracht.

Weil sie sportlich nicht dagegen halten können, steigerten italienische Zeitungen die aufkeimende Pogrom-Stimmung gegen Steffi Graf mit dem beleidigenden Hinweis, sie sei, wörtlich „brutta“, und das heißt: häßlich!!! Eine Unverschämtheit: war sie nicht schon über alle Parteigrenzen hinweg zumindest für „noch sympathischer als Boris“ (Trude Unruh, Die Grünen), sogar als „ein deutsches Prachtmädel“ (Dr.Kohl) bezeichnet worden? Die deutsche Nation reagierte prompt mit Argumenten. Noch vor der Olympiade gab ihr Nina Hagen mit auf den Weg, sie sähe „echt geil“ aus, einzig mit der Nase war sie nicht zufrieden.

Das war erst der Anfang. Bei Steffi Grafs Ankunft in Seoul rissen sich die Fotografen, Journalisten und Sicherheitskräfte um die Filzball-Gräfin, als sei soeben eine Schönheitskönigin von einem anderen Stern eingejettet gekommen. Die kam dann wirklich, in Person der „Miß Universum“, einem Modell aus Thailand. Kein geringerer als Dietmar Mögenburg, langbeiniger Hochspringer und somit gewissermaßen Experte, erkannte gleich, die Schönheits-Miß lächele „zu künstlich und“, da ließ er keinen Zweifel, „Steffi Graf hat viel hübschere Beine“.

Apropos Frl.: In der Heimat hatte, noch in der vergangenen Woche, die „Bunte“ ausdrücklich Steffis Jungfräulichkeit als Erfolgsgaranten angemahnt, „Bild“ exklusiv ihre Maße kundgetan und sogar die oft so bedächtige „Süddeutsche“ den publizistischen Flankenschutz mit einem „so wohlgewachsen sie ist“ ergänzt. Und der ZDF-Mann Thomas Wark widerstand der Ästhetik sogar Albatrosscher Armschwünge, als er uns Fernseh-Olympioniken, erregt wie ein kleiner Bub, aus dem Schwimmstadion verkündete: „Soeben hat Steffi Graf nur fünf Reihen vor mir Platz genommen.“

Je selbstverständlicher Grafsche Siege mittlerweile geworden sind, desto klarer sind längst die Bekenntnisse zu ihrem Aussehen geworden. Blond, blauäugig, deutsch als Mindestausstattung genügt nicht mehr. Auch innerhalb der Tennis-Szenerie gibt es erste eindeutige Bekenntnisse. Becker-Manager Ion Tiriac zum Beispiel. Der Finstermann aus Frankensteins Heimatwäldern stand letzte Woche in Seoul vor einem Bild von Steffi. „Sie ist“, entfuhr es ihm entzückt, „die schönste von allen Tennisspielerinnen“, und er fügte schwärmerisch hinzu, „bei weitem“.

Nur einer hat es immer noch nicht kapiert. Wolfram Wuttke, der Kicker, will sich in Seoul nicht nur mit dem Tritt nach dem Ball begnügen, sondern gibt als seinen größten Olympiawunsch an, im Olympischen Dorf „auf dem Flur einmal Gabriela Sabatini zu treffen“. Ein Vaterlandsverräter, ein hundsgemeiner. Zur Strafe verschoß er den entscheidenden Elfmeter gegen Brasilien.

Bernd Müllender