Politik ohne Theater und umgekehrt

■ Bei „Nachtgespräche mit Fidel“ hinkt der realen Castro-Vorgabe hinendrein, „Kuß der Spinnenfrau“ aber hat das seltene Glück, Politik und Theater unter einen Hut zu bringen

Wenn Schauspieler Politiker spielen, haben sie es häufig leicht, mit Realsatire zu glänzen. Doch wenn sie, wie die Schweizer Theatergruppe Baden am Dienstag Abend im Modernes, mit Fidel Castro einen der größten politischen Schauspieler in Szene setzen, kommen sie leicht in Gefahr, mit ihrem Spiel weit hinter der realen Vorlage zurückzubleiben. Da wirkt auch ein Regie-Trick, der Castro ohne Vollbart und mit Schweizer Dialekt auf die Bühnen -Bretter bringt, schnell nicht mehr als künstlerische Verfremdung, sondern als hilflose Kapitulation vor dem schauspielerischen Talent des Politikers - und das trotz aller politischen Bemühtheit der Schauspieler.

Dabei hatte sich die Badener Theatergruppe mit dem Interview, das der brasilianische Befreiungs-Theologe Frei Betto mit

Cubas Comandante mehrere Nächte lang geführt hatte, eine äußerst spannende Vorlage für ihr Stück „Nachtgespräche mit Fidel“ gesucht. Welche Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit Betto aus der religiösen lateinamerikanischen Kultur bezieht und wie Castro sie an den Bedingungen der cubanischen Revolution mißt, sich daran reibt, sie aufnimmt und verwirft, all das zeigt sehr viel von dem, was jenseits des Atlantik Politik bedeutet. Doch ein Schauspieler, der die ausfahrende Gestik und Rhetorik des cubanischen Revolutionärs nach dem Muster von Regie-Anweisungen über die Haltung der Hände und Unterarme einstudieren will, und eine Inszenierung, die die stundenlangen Assoziationsketten des kommunistisch gewandelten Jesuiten-Schülers in handliche viertelstündige Szenen

packt, vergibt gleich wieder einen großen Teil dessen, was die Textvorlage bietet. Ein auf der Bühne nachgesprochenes politisches Interview ist noch lange kein politisches Theater.

Die Theatergruppe Comedia Colonia hatte es da an drei Abenden im Ernst-Waldau-Theater leichter. Der argentinische Schriftsteller Manuel Puig hatte ihnen mit seiner fast ausschließlich in Dialogen geschriebenen Novelle „Der Kuß der Spinnenfrau“ eine bühnenreife Textvorlage geliefert. Auch die Begegnung zwischen dem Schwulen Molina und dem Revolutionär Valentin im Knast der argentinischen Militärdiktatur stellt die Frage nach dem Verhältnis von Menschlichkeit und politischem Kampf. Doch die Bewegungen der beiden Schauspieler im kargen Bühnenbild ziehen das Publikum zu sich in die Zelle, machen es zum Mitwisser der Liebe, die den verhärteten Revolutionär weich und den zarten Schwulen stark macht.

Politisches Theater kommt leicht in Gefahr, über der Politik das Theater zu vergessen. Daran ändert auch nichts, daß es heute gerade moderner ist, den umgekehrten Fehler zu machen und über dem Schauspiel die Poltik zu vergessen. Das Glück, wie im „Kuß der Spinnenfrau“ beides zusammenzubringen, scheinen nur wenige zu haben.

Ase