KULTIVIERTE SCHNITZEL

■ Spießers „Traumstadt“ von Johannes Schaaf

Zum Untergang verdammt versinkt das Traumreich in einem Strom von „Schmutz, Abfall, geronnenem Blut, Gedärmen, Tier und Menschenkadavern“: gelesen habe ich den Roman des surrealistischen Malers Alfred Kubin „Die andere Seite“ nicht, aber aus obigem Zitat läßt sich ohne Probleme eine wirr-destruktive Wahnwelt erahnen, in der die Utopie einer Gesellschaft, in der jeder Mensch frei ist und leben kann nach eigenem Gutdünken, radikal den Bach runter im Gully zivilisierter Unzulänglichkeit versickert. Läppisch hingegen mutet das an, was Regisseur Johannes Schaaf aus dieser Vorlage gemurkst hat und nicht nur, weil das mörderische Inferno am Schluß eher als ein billig aufgebauschtes pyrotechnisches Spektakel aufbereitet wird, ohne jede Spannung im Zerfall; die Kulisse wird gesprengt unter Berücksichtigung aller erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen.

Mag sein, daß bereits arg der rasante Zahn der Zeit die Fundamente der „Traumstadt“ ausgehöhlt hat, denn immerhin sind anderthalb Jahrzehnte seit der Entstehung des Films vergangen, doch letztlich hapert's einfach am Überbau, an allen Ecken und Enden fehlt es am Stoff der Träume, der uns das Paradies auf Erden schmackhaft machen soll.

Da taucht eines schönen Tages mitten im München der Schlaghosen und schulterlangen Haare der Agent eines obskuren Traumreiches auf und verspricht stellvertretend für uns alle einem Ich-Krisen-geschüttelten Künstler den Ausweg aus der Sackgasse eines Lebens, das nur noch anödet und nervt, weil man sich selbst in der eigenen Unfähigkeit, etwas auf die Reihe zu kriegen, unausstehlich findet. Wie der freundliche Herr von der Lotterie mit dem Millionenscheck wedelnd kommt er daher und bietet Freiheit, Glück und sorglose Existenz im Sonderangebot, nur Geld spielt dabei keine Rolle, es zu besitzen hat keinen Wert.

Mühsam ist der Pfad der Selbstfindung, selbst wenn man mit der Lufthansa in die Utopie durchstartet; mit Jeep und Kamel geht's durch Wüsten, grandios und arabisch aussehend. Umso größer ist da der Kulturschock, als sich den beiden Übersiedlern, Maler nebst Gattin, die „Traumstadt“ als ein mittelalterliches Provinznest präsentiert, das Stein für Stein rekonstruiert, vom absoluten Be-Herrscher der Träume, Patera, errichtet wurde. Die Luft ist sauber, kein Auto weit und breit, aber trotzdem muffelt's und mieft's von Anfang an - nach Zwang zur Idylle, dröger Gemütlichkeit und geharnischter Spießigkeit.

Das exzentrische, farbenfrohe Outfit der Bewohner, Renaissance meets Hippie, bringt zwei Epochen zusammen, deren ungestümer, wilder Lebensausbruch der Grundstock für Schaafs Entwurf vom Traumreich sein soll, doch dieses Unternehmen scheitert an einer höchst seltsamen Mischung von maßloser Überheblichkeit gepaart mit kleinbürgerlicher Biederkeit. Penetrant unterschwellig protzt der Film mit Sex und Freiheit, sexueller Freiheit halt, deren hemmungsloser Mißbrauch ins totale Chaos führt, zum schlimmsten Sodom und Gomorrha, das nur in Gewalt und Wahnsinn, Mord und Totschlag enden kann; eine Gesellschaft autonomer Individuen muß zwangsläufig in die Brüche gehen, weil der Mensch nicht geschaffen ist, Freiheit zu ertragen, die körperliche inbegriffen, denn von Natur aus gibt es Macht und Unterwerfung. Ein reaktionärer Pessimismus schimmert da durch, der berechtigt ist, wenn er ernst genommen wird. Bei Schaaf aber ist die Psyche der Anfang vom Ende, seine künstlerische Blasiertheit ist lächerlich und verlogen, nichts weiter als ein Trick, um sich vor der Gretchenfrage nach den Träumen zu drücken, die hier angeblich scheitern.

Kultivierte Spießer am Stammtisch, die einen auf Ethik und Philosophie machen, um nur nicht vom Leben gestreift zu werden - ist Freiheit ein Wiener Schnitzel mit Bier, das man sich wünscht und prompt bekommt? Noch dreister aber ist es, verklemmt und zugenäht, Verderben durch freien Sex zu propagieren, ohne die Traute zu haben, das zu zeigen. Über gruppendynamische Abtatschorgien, deren theatralische Inszenierung von Fellini abgestaubt ist, kommt Schaafs Sündenpfuhl nicht hinaus, statt dessen werden in einer Peepshow des Perversen Lesben und Schwule zur Schau gestellt: die Missionarsstellung ist die sexuelle Selbstverwirklichung der Normalficker!

Andreas Döhler

Ab heute im UFO 1.