Leinens Millionenmauschelei im Abwassersumpf

Im Saarland wurden Abwasserabgaben in Millionenhöhe mit Unterstützung des Umweltministeriums hinterzogen / Interne Papiere des Ministeriums und des Saarländischen Rechnungshofes beweisen: SPD-Umweltminister Leinen mischt bei Mauschelei kräftig mit  ■  Aus Saarbrücken Michael Blum

Der bislang größte Abwasserabgaben-Betrug in der Geschichte der Bundesrepublik ist im Saarland aufgeflogen: Durch fehlerhafte und willkürliche Berechnungen des Umweltministeriums wurden der Industrie mehrere Millionen Mark geschenkt. Neben seinen christdemokratischen Vorgängern Budell und Schacht ist auch der SPD-Umweltminister und ehemalige Vorsitzende des „Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (BBU), Jo Leinen, seit seinen Brokdorf -Aktionen Container-Jo genannt, in den Skandal verwickelt.

Durch schlampige und inkompetente Arbeit des saarländischen Landesamtes für Umwelt (LfU) sind dem Land Millioneneinnahmen an Abwasserabgaben entgangen, heißt es im nichtöffentlichen Prüfbericht des saarländischen Rechnungshofes „zum Vollzug des Abwasserabgabengesetzes“. Der Bericht liegt der taz vor. Dieter Grünewald, Regionalbeauftragter der saarländischen Grünen, beziffert den Schaden auf „200 bis 300 Millionen Mark“.

Umweltbeamte

als Konjunkturberater

Die Abwasserabgabe ist eine Umweltsteuer, die bei Gemeinden, Gewerbe und Industrie für die Einleitung von Schmutzwasser in Bäche und Flüsse erhoben wird. Der Prüfbericht nennt zahlreiche Betriebe, bei denen die Abgabe von 1981 bis 1986 nicht erhoben wurde. Darunter werden allein 28 Bergbaubetriebe ausgewiesen, die 1984 und 1985 keinen einzigen Pfennig an Abwasserabgaben bezahlen mußten. Außer zwei privaten Betrieben handelt es sich dabei um 26 Bergwerke, die zu den „Saarbergwerken“ gehören. Die Beteiligungen am Bergwerkgiganten hält zu einem Drittel das Saarland und zu zwei Dritteln der Bund.

„Durch gezielte Schlamperei der verantwortlichen Beamten im Umweltministerium wurde eine direkte Wirtschaftssubvention für die Betriebe geleistet“, mutmaßt der Mitarbeiter der saarländischen Grünen-Bundestagsabgeordneten Eika Trenz, Uwe Grieger. Griegers Vermutungen werden durch den Rechnungshof -Bericht untermauert: „Einzelentscheidungen über die Festsetzung der Abgaben waren anhand der Akten oft nicht nachvollziehbar. Oft sind hierüber keine begründenden Vermerke gefertigt worden“, heißt es unter Punkt 5.3.5 des Berichts.

Industriefreundliche

Politik

Die für die Berechnung der Abwasserabgaben verantwortlichen Beamten arbeiteten jedoch nicht nur schlampig, wie der Rechnungshof meint, sondern an den Bedürfnissen der Industrie orientiert. In einem der taz vorliegenden internen Protokoll einer Umweltausschuß-Sitzung vom 10.April 1986 erklärte der leitende Ministerialrat Giebel aus dem dem Umweltministerium nachgeordneten LfU zur Abwasserabgaben -Praxis seines Amtes: „Das eigentliche Problem liege im Vollzug“, wird Giebel im Protokoll zitiert. „Wollte man in der Tat die reine Lehre der Wasserwirtschaft praktizieren, müßte man vorweg die Hälfte aller Betriebe im Land zumachen.“ Und weiter heißt es in der Niederschrift: „Im übrigen gebe er zu bedenken, daß Auflagen auch nicht so streng gestaltet werden dürften, daß darunter unter Umständen die Substanz des Unternehmens leide. Dieses Land habe schließlich nicht nur Abwasserprobleme, sondern auch eine sehr hohe Arbeitslosigkeit.“

Daß Giebel diese Wirtschaftshilfe konsequent vorangetrieben hat, geht aus der Kläranlagensituation im Saarland hervor: Es ist die schlechteste eines Flächenlandes in der Bundesrepublik; nur 50 Prozent aller Abwässer werden nach Auskunft von Giebel geklärt. Bei Arbed-Saarstahl gibt es ebensowenig eine Kläranlage wie in der drittgrößten Stadt, Völklingen. Während die „Dillinger Hütte“ erst nach einem 21 Jahre währenden Verfahren 1987 einen Abwasserbescheid erhielt, leitet selbst Leinens Ministerium nach wie vor seine Abwässer ungeklärt in die Saar.

Leinen unterstützt

illegalen Einleiter

Unter den zehn größten industriellen Gewässerverschmutzern im Saarland ist das Holzfaserplattenwerk „Renitex“. Der im strukturschwachen Losheim angesiedelte Betrieb mit 250 Mitarbeitern verfügt zwar über eine kleine betriebseigene Kläranlage, die die hausgemachten Schadstoff-Frachten jedoch nicht bewältigen kann und zudem veraltet ist. Über ein illegales Pipeline-System leitete die Firma bei Bedarf und vornehmlich nachts hochgiftige Abwässer an den Kontrollstellen vorbei in die nahegelegene Prims. „Allein in den letzten zwei Jahren hat es bei Renitex 14 Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen gegeben, die Staatsanwaltschaft ermittelt“, berichtet Grünewald von der Umweltpartei. Renitex habe des weiteren gezielt Meßergebnisse manipuliert. Im Prüfbericht des Rechnungshofes heißt es zu Renitex: „Der Rechnungshof erkennt die Schwierigkeiten des LfU, bei der mehrmals von der Renitex vorgenommenen Manipulation der Meßergebnisse überhaupt eine richtige Abgabenberechnung zu erstellen.“ In den letzten Jahren soll Renitex 15 Millionen Mark, so der CDU-Landtagsabgeordnete Hartmut Mathieu, beziehungsweise nach Griegers Angaben 19,6Millionen Mark an Abwasserabgaben hinterzogen haben. „Und das unter den Augen zweier CDU-Umweltminister und seit 1985 unter Leinen“ (Grünewald).

Geheimes Abkommen

mit der Industrie

Die Skandalfirma muß die ausstehenden Millionen jedoch nicht zahlen: Bereits Ende 1986 hat Leinen einen Vergleich mit Renitex geschlossen, der bislang geheim gehalten wird, dem Betrieb die Zahlung von lediglich einer Million Mark und den Bau einer neuen Kläranlage für sieben Millionen Mark abverlangt. Während Leinens Millionengeschenk in der SPD als „schöpferische Tat“ (Fraktionsvorsitzender Klimmt) gehandelt wird, prüfen die Grünen die Einleitung einer Strafanzeige gegen den Ex-Bauplatzbesetzer: „Leinen hat mit seinem Vergleich zweckgebundene Mittel veruntreut und der Renitex zwölf Millionen Mark als Wirtschaftssubvention geschenkt“, meint Grieger. Der CDU-Abgeordnete Mathieu will zudem in einer Kleinen Anfrage wissen, in wessen Auftrag Leinens Staatssekretärin Ulla Giersch die Wasserbehörde angewiesen hatte, die Renitex-Forderungen auf eine Million zu reduzieren. „Wir werden am 5.Oktober einen Mißbilligungsantrag gegen Leinen stellen“, berichtet Mathieu.

Grüne fordern

Untersuchungsausschuß

Für die Grünen ist dieses CDU-Manöver „reine Ablenkung: CDU und FDP sind als ehemalige Regierungskoalitionäre ebenso in den Abwasserabgaben-Betrug involviert wie Leinen“, so Grünewald. Mit dem CDU-Antrag solle lediglich das Thema nach einer Rüge Leinens wieder in der „Schublade verschwinden“, meint die Öko-Partei und fordert deshalb die Einrichtung eines Landtags-Untersuchungsausschusses. Die Chancen dafür stehen schlecht: Die Umweltpartei ist zwar nicht in den Skandal verwickelt, gleichsam aber auch nicht im Landtag vertreten.