Eine der schönsten Künste

■ Schon Konfuzius war ein Liebhaber des Bogenschießens / Die Schützinnen aus Südkorea sind bei den Frauen favorisiert und begeistern das Publikum / Claudia Kriz im Achtelfinale

Seoul (taz) - Aufstellen, Pfeil auflegen, den Bogen spannen bis die Sehne Kinn und Nase berührt, die drei Finger leicht lösen um den Pfeil abzuschießen; dieser Bewegungsablauf ist im Training immer wieder automatisiert worden. Seine optimale Umsetzung erfordert absolute Ruhe und Konzentration. Es wird wenig und nur leise geredet beim olympischen Wettkampf der Bogenschützinnen, und die Umgebung paßt zu dieser beschaulichen Stimmung. Die Anlage, ein Grasfeld von 200 mal 100 Metern liegt im Grünen am Rande der Stadt, und die Tribüne ist den alten Tempeln nachgebaut, mit geschwungenem Dach und bunten Malereien.

Es erfordert nicht nur psychische Kraft, fünf Tage lang Pfeil um Pfeil abzuschießen; rund zwanzig Kilo Zugkraft stecken jedesmal dahinter. Wenn Claudia Kriz den Bogen spannt, wird der erste Teil der Arbeit vom Trizeps übernommen, dann löst ihn der Lattissimus Dorsi ab. Würde sie nicht die ganze Spannung in die Rückenmuskulatur legen, wäre der Arm noch an dieser Aktion beteiligt, sie könnte nicht ganz locker die Finger öffnen, um die Sehne freizugeben. Jede Verkrampfung, jeder noch so kleine Wackler stört die Genauigkeit.

Deshalb stehen vom Bogen dünne Stäbe ab wie Spinnenbeine. Sie wirken als Stabilisatoren und verhindern, daß der Rückstoß sich als Seitendrehung auf das Handgelenk überträgt. Auch das würde noch den Flug des Pfeiles beeinflussen, der mit einer Geschwindigkeit von 200 km /h die Sehne verläßt. Dann kippt der Bogen nach vorne, „er springt“ , sagt Claudia Kriz, „ganz locker aus der Hand“. Die ganze Koordination gelingt nur durch das Zusammenspiel von Kraftaufwand und Entspannung. Die Hand soll den Bogen auch im Moment der Anstrengung halten wie einen kleinen Vogel: fest genug, daß er nicht fortfliegt, und so sanft, daß er nicht zerdrückt wird.

Wenn alles stimmt dauert die Phase des Zielens vier bis fünf Sekunden; jede weitere verändert den Druck auf die Hand. Die Arme bilden mit dem Körper ein T, und das Auge visiert die Scheibe durch das Korn an (als Kimme dienen quasi Nase und Kinn). Deren goldene Mitte ist auch auf die kürzere Entfernung von 50 Metern kaum so groß wie ein Markstück, und Claudia Kriz setzt immer wieder den Bogen ab, um sich neu zu konzentrieren. Zweieinhalb Minuten hat sie für drei Pfeile, und oft reizt sie die Zeit aus auf die letzte Sekunde. Ihren Trainer Klaus Röttger beunruhigt das wenig: „Den Druck braucht sie.“ Sie schafft dann auch mit 1.250 Ringen den Einzug in die nächste Runde, nachdem am Mittwoch 144 Pfeile auf die vier Distanzen (70/60/50/ 30m) geflogen sind; Christa Öckl (um 1 Ring) und Doris Haas (8) verpassen das Achtelfinale knapp.

Ihre Chance liegt in der Teamwertung, wo sie bei der WM '87 den 4. und bei der EM '88 den 3. Platz belegten. Den Frauen aus Korea scheint hier der Erfolg sicher, die Sportart hat bei ihnen Tradition (Konfuzius zählte sie neben Schreiben, Rechnen und Wagenlenken zu den schönsten Künsten). Alle drei Schützinnen auf den ersten drei Rängen, für das Publikum war es da nicht einfach, die Ruhe zu bewahren. Gefühlsäußerungen aber stören beim Bogenschießen, „Wut und Aggression kann man da nicht rauslassen“. Zum Ausgleich braucht Claudia Kriz eine „wildere“ Sportart, und vielleicht ist dies das Geheimnis des koreanischen Erfolgs: daß sich Bogenschießen und Taekwondo so gut ergänzen.

-thöm