Wenn der IWF die USA...

■ ...sich vorknöpfen würde / Ein Szenario, vorgestellt von Andre Gunder Frank auf dem Basso-Tribunal

Berlin (taz) - „Brot“, flüstert das spärlich bekleidete, knochige Kind, „gib mir etwas zu essen.“ Seit ihrem vierten Lebensjahr steht die Neunjährige - sommers wie winters - an der Kreuzung von Kurfürstendamm und Joachimstaler Straße und bettelt.

Von dem Glanz vergangener Jahre, als die BRD noch der Welt größte Exportmacht war, ist nur die Erinnerung geblieben. Heute bevölkern hungrige Kinder die „City“ Berlins. Sie warten auf Passanten, wühlen in den Papierkörben nach Essensresten und überfallen in kleinen Banden vorbeikommende Lieferwagen.

Die Berichte über die Verelendung Europas häufen sich. Ein Ende ist nicht absehbar. Fest steht nur, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen der europäischen Situation und der Entwicklung in den USA, deren Wirtschaftspolitik sich seit Inkrafttreten des letzten IWF -Strukturanpassungsprogramms für das Land radikal geändert hat.

Nachrichten aus einer düsteren Zukunft. So ähnlich wie heute in vielen Ländern der Dritten Welt könnte es in Europa aussehen, wenn die Politik des IWF nach den bekannten Strickmustern auf das am meisten verschuldete Land der Welt, die USA, angewendet würde. Denn dann würde möglicherweise die ganze westliche Welt von einer Depression nie gekannten Ausmaßes erfaßt.

In einem Szenario spielte der Ökonom Andre Gunder Frank von der Universität Amsterdam am Mittwoch vor dem Basso-Tribunal in der Freien Universität Berlin die Varianten der IWF -Politik, angewendet auf die USA, durch. So konkret wie unsere Eindrücke aus dem verelendeten Europa geriet sein Szenario allerdings nicht. Der Ökonom jonglierte mit Variablen wie US-Außenverschuldung, Weltwirtschaftssystem und internationalen Abhängigkeiten. Am Ende war klar, daß konsequente IWF-Politik in den USA wegen der unübersehbaren globalen Auswirkungen nicht machbar sind. Die USA könnten das ohnehin mit ihrer Sperrminorität im IWF verhindern.

Angenommen, der IWF würde den USA tatsächlich seine Politik aufdrängen, müßte das Land seine gesamte Wirtschaft umkrempeln. Allein um die Zinsen für die aktuelle Auslandsverschuldung der USA (Höhe: 300 Milliarden Dollar) aufzubringen, müßte der Import in Höhe von 150 Milliarden Dollar jährlich gestrichen und weitere 100 Milliarden Dollar aus einheimischen Ressourcen aufgebracht werden. Das werfe aber gleich das nächste Problem auf, die Frage nach einem Absatzmark für solch riesige US-Exporte. Die Länder der Dritten Welt kämen nicht in Frage, da sie selber Exportüberschüsse bräuchten. Wenn Westeuropa den US-Export aufnähme, würde es in eine enorme Depression fallen.

Das alles sei in der Praxis völlig ausgeschlossen, zeige aber, wie diskriminierend die gegenwärtige IWF-Politik sei, die von den einen Opfer verlange, die die anderen gar nicht bringen könnten.

Clara Coq