"Stoppt diese ganzen Hilfsfonds!"

■ Cheryl Payer, "Pionierin" der Schuldendebatte und Autorin des Klassikers "Die Schuldenfalle", war Gast auf dem Gegenkongreß. Die taz sprach mit ihr über Handlungsmöglichkeiten in der Ersten Welt

I N T E R V I E W

taz: Über die Schuldenproblematik, IWF und Weltbank kann man tagelang diskutieren. Hinterher geht man schlauer nach Hause, aber was kann man beispielsweise in Westeuropa oder in den USA tun?

Cheryl Payer: Ich denke, daß es für fortschrittliche Gruppen in der Ersten Welt sehr schwierig ist, mit der Schuldenkrise direkt umzugehen. Ich bin sehr skeptisch gegenüber Initiativen, wie zum Beispiel dem debt-crisis-network (Schuldenkrisen-Netzwerk) in den USA, die der Regierung vorschlagen, sie sollte die Schulden vergeben. Ich denke nicht, daß es möglich ist, irgendetwas wirklich Fortschrittliches durch unsere Regierungen zu tun, bevor unsere Regierungen - heißen sie nun Reagan oder Dukakis nicht radikal verändert sind. Ich glaube, man muß gegen die Schuldenkrise indirekt angehen und sich die sozialen Systeme der Dritte-Welt-Länder ansehen, die darin eingebunden sind. Und man muß eine sehr prinzipielle Antiinterventions-Haltung einnehmen.

Das bedeutet, daß es nicht unsere Aufgabe ist, diesen Ländern zu sagen, was sie tun sollen, denn das ist imperialistisch, auch wenn wir denken, daß wir die „netten“ Imperialisten sind und „freundliche“ Bedingungen setzen. Die Dritte Welt muß das Recht haben, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen. Das heißt aber auch, daß sie es ohne Geld von außen tun muß. Ich denke, man kann das beides nicht voneinander trennen. Wo Geld ist, werden auch die Fliegen angezogen. Wenn du Geld in die Dritte Welt schickst, auch wenn du selbst in der Opposition bist, unterstützt du die Gruppe, der du das Geld schickst, sei es eine Regierung oder eine Befreiungsbewegung. Privates Geld zum Beispiel an Antiapartheidgruppen zu senden, das ist sicher gut. Private Gelder bewegen sich in einem so kleinen Rahmen, daß sie keinen Schaden anrichten können. Aber die großen Probleme kommen,, wenn Regierungen Steuergelder nehmen und in großen Mengen andere Regierungen unterstützen. Ich denke, wir müssen sehr klar im Kopf haben, daß es kein Geld ohne Bedingungen gibt.

Was bedeutet das praktisch?

Das nächstliegende, was wir tun können, ist gegen jegliche Intervention anzukämpfen, zum Beispiel gegen die militärische Intervention in Nicaragua oder gegen Hilfprogramme für Diktaturen.

Fällt Ihnen ein Beispiel einer Initiative oder Gruppe ein, die erfolgreich gegen eine Intervention der Dritten Welt gekämpft hat?

(Lacht) Ich gestehe, daß das Bild der erfolgreichen Arbeit nicht sehr breit ist. Als ein sehr positives Beispiel sehe ich die Nestle-Kampagne, die eine sehr starke erzieherische und aufklärerische Funktion gehabt hat unter dem Stichwort: „Muttermilch ist besser als importierte Babynahrung“. Die Menschen können das, was sie brauchen, selber produzieren. Die Dritte Welt hat viele menschliche und natürliche Ressourcen, die sie nicht effektiv einsetzen kann. Sicher müssen die Schulden gestrichen werden.

Aber ich glaube nicht an eine paternalistische Schuldenvergebeung. Es muß eine Mobilisierung der Leute gegen die Ursachen der Schulden geben, wie wir sie auch in der Kampagne um den mexikanischen Präsidentschaftskandidaten Cardenas sehen. Nie seit der mexikanischen Revolution hat die regierende Partei, die PRI, eine Wahl verloren, und Cardenas war ungeheuer erfolgreich in seinem Wahlkampf gegen die PRI, und er kandidierte auf einer Plattform gegen die Schulden.

Wenn es jemals zu einem Wahlsieg von Cardenas oder zu einem Aufstand der Bevölkerung in Mexiko kommen sollte und die Volkspartei sagt, sie könne ihre Schulden nicht mehr zahlen, dann sollten wir das unterstützen. Aber wir sollten das kritisch unterstützen und nicht dadurch, daß wir ihnen eine Menge Geld geben; das macht eine noch so gute Partei korrupt, denn sie wird bald auf das Geld von außen vertrauen und nicht auf die Unterstützung der Bevölkerung.

Schuldenstreichung bei der Art von Regierungen, die wir heute haben, ist keine Lösung des Problems, sie räumt nur den Weg frei für neue Kapitalakkumulation. Das wirkliche Problem sind nicht so sehr die Schulden, sondern die Art der Regierungen in diesen Ländern.

Das einzige also, was wir hier tun könnten, wäre Ihrer Meinung nach, gegen militärische und ökonomische Intervention anzukämpfen?

Ja, und natürlich müssen wir unsere eigenen Länder zu einem Ort machen, wo man leben kann. Heute sagte jemand, und das finde ich sehr wichtig: Wie können unsere Regierungen die Armut in der Dritten Welt abschaffen wollen, wenn es Armut in New York oder Kalifornien gibt?

Zur Zeit interessieren sich plötzlich sehr viele Leute hier in der Bundesrepublik für das Thema Schuldenkrise und Dritte Welt. Könnte es nicht sein, daß dieses Thema in sechs Monaten wieder aus der Diskussion ist?

Es ist natürlich immer sehr schwierig, die Kraft einer solchen Bewegung einzuschätzen. Es gab immer Leute in den USA oder in Europa, die sich sehr für die Dritte Welt engagiert haben, und es war für diese Leute immer sehr schwer, in ihren eigenen Ländern, wo die Leute erst einmal mit ihren eigenen Belangen beschäftigt sind, Sympathien für ihre Arbeit zu finden. Ich weiß nicht, wie tief die Sympathie jetzt hier geht. Ich hoffe nur, daß wir unsere Sympathien in einem Geist von Respekt einsetzen gegenüber der Intelligenz und der Kraft der Menschen in der Dritten Welt.

In den USA beschäftigen sich verschiedene Gruppen schon sehr viel länger mit der Schuldenproblematik als wir hier. Wie sind da ihre Erfahrungen?

Einige Gruppen arbeiten schon sehr lange daran. Ich bin sehr kritisch gegenüber der Hauptorganisation in den Vereinigten Staaten, dem debt-crisis-network, weil ich denke, daß sie einen sehr paternalistischen Handel eingehen, in dem, was die US-Regierung tun könnte zur Schuldenstreichung und zur Setzung von Bedingungen: saubere Technologie, Beteiligung von Frauen, all diese Dinge, die auf dem Papier so schön aussehen. Aber wenn du dann dafür im Kongreß die Mehrheiten suchst, dann merkst du, daß es sehr schwer ist, den Kongreß dazu zu bewegen, präzise das zu tun, was du willst. Der Kongreß ist ein sehr grobes Instrument und kein sehr genaues. Und deshalb lehre ich auch: Stoppt diese ganzen Hilfsfonds, das ist das einfachste, was man machen kann.

Gut, ich war aus diesem Grund skeptisch gegenüber dem debt-crisis-network, aber ich glaube, sie sind im Begriff, sich zu verändern. Ich nehme dabei eine Minderheitenposition ein, denn ich bin auch gegen jede Form ausländischer Hilfe, von einigen ganz speziellen Ausnahmen abgesehen. Ich bin gegen solche Hilfe selbst im Fall von Katastrophen. Ich habe sehr genau studiert, wie diese Hilfe funktioniert, und festgestellt, daß wir oft mehr Schaden anrichten als Gutes tun. Meistens geht unsere Hilfe an die falschen Leute und korrumpiert die Regierungen. Es ist für gutherzige Menschen häufig schwer zu verstehen, daß wir den Menschen oft dadurch einen Gefallen tun, daß wir nichts für sie tun.

Das ist sehr deprimierend, wenn du etwas für sie tun willst. Ich kenne Leute, die darunter leiden, die etwas tun wollen. Aber es ist für mich sehr schwer zu erkennen, was man speziell für die Schuldenproblematik tun könnte.

Man muß gegen jede Einmischung und Intervention ankämpfen, und da ist für mich beispielsweise in den USA der wichtigste Punkt Nicaragua.

Das Gespräch führte Vera Gaserow.