Coming-Out der "Ordnungskräfte"

■ Mehrere tausend TeilnehmerInnen auf der Demonstration der Autonomen gegen IWF und Weltbank / Polizeiliche Knüppeleinsätze zum Auftakt / "Vermummung" unerwünscht / Gespenstische Ruhe und Festnahmen...

Diesch ischt ein Tescht!

Bereits zu Beginn der Demonstration der Autonomen, an der rund 5.000 Personen teilnahmen, kam es zu polizeilichen Eingriffen: Mit gezückten Knüppeln und vorgehaltenen Schildern schob sich eine Hundertschaft von in schwarzes Leder gekleideten Polizisten auf die Spitze des Demonstrationszuges zu. Die Leute in der ersten Reihe hielten ein straßenbreites Transparent mit der Losung „Den Widerstand organisieren - International um Befreiung kämpfen“ hoch. Das Transparent ging in Fetzen, weil sich die Uniformierten auf die Leute stürzten, wild um sich knüppelten und DemonstrantInnen festnahmen.

Kurz zuvor war, für den Demo-Zug unhörbar, die dritte Aufforderung aus einem weit entfernten Polizei-Lautsprecher ergangen, die Vermummungen zu entfernen, die hauptsächlich aus Palästinensertüchern bestanden. Zahlreiche DemonstrantInnen hatten sich „aus Solidarität mit den Palästinensern“ ein solches Tuch um den Kopf geschlungen. Fotografen und Journalisten, die die martialische Knüppelei verfolgten, wurden rücksichtslos zur Seite gestoßen. Zu den Geschlagenen gehörte auch das an der Spitze des Zuges stehende Vorstandsmitglied der Grünen, Jutta Ditfurth. Kommentar eines 84jährigen Passanten, der vergeblich einen Ansprechpartner unter der Polizei suchte: „Was hier vor sich geht, ist die reine Provokation!“ Noch zweimal wiederholte sich diese Szene, ehe sich der Zug überhaupt in Bewegung setzen konnte. Offenbar wollte die Polizei sich gezielt bestimmte Leute herausgreifen.

Ein Verletzter mußte mit einem Krankenwagen abtransportiert werden. In einer Seitenstraße hatte eine Türkin angesichts des brutalen Vorgehens der Polizei einen Schwächeanfall erlitten. Unterdessen wurde aus dem Lautsprecherwagen der DemonstrantInnen zur Besonnenheit aufgerufen: Der Protest gegen IWF und Weltbank werde in jedem Fall fortgesetzt. Am Rande mit von der Partie war auch der Sicherheitsexperte der SPD, Pätzold, der der Polizei und insbesondere der Sondereinheit EbLT „einmal auf die Finger gucken wollte“.

Nachdem die Anmelder der Demonstration vergeblich durchzusetzen versucht hatten, daß der Marsch am Kurfürstendamm endete, hatte das Verwaltungsgericht entschieden, daß die Route an der Urania enden sollte. Zur Demo hatten Autonome, der AL-Hochschul- und Jugendbereich sowie der BUKO (Bundeskongreß entwicklungspolitischer Gruppen) aufgerufen.

Ohne größere Zwischenfälle verlief die Demonstration bis zur Eisenacher/Ecke Kleiststraße. Um 19.30 Uhr waren es laut Angaben der Demonstrationsleitung 7.000 Leuten, die Polizei sprach von 5.000 bis 6.000. An der genannten Kreuzung ertönte aus den Lautsprecherwagen der Demonstrationsleitung der Hinweis, daß die Demonstration hier aufgelöst werde. Ganz überraschend kam diese Durchsage nicht, denn es war offensichtlich, daß für ein friedliches Ende der Demonstration, wenn sie bis zum Abschlußort „Urania“ gehen würde, nicht mehr garantiert werden könnte. Der Platz glich einem einzigen Polizeikessel. Die Szene war gespenstisch. Beamter an Beamter, Schild an Schild. Unterstützt von Wasserwerfern, Räumpanzern und Gitterwagen hatte die Polizei eine riesige Absperrung rund um den Platz gebildet. Auch die Seitenstraßen waren voll von Polizei.

Polizei-Bilanz

Bis Redaktionsschluß registrierte der Ermittlungsausschuß (EA) mindestens 46 Festnahmen auf der Demonstration, die Polizeipressestelle nannte zum selben Zeitpunkt 17 Festnahmen. Zur Zahl der Verletzten gab es bei Redaktionsschluß noch keinen Überblick. Nach Auskunft des EA wurden bis gestern früh 31 Personen wegen Verdacht auf Straftaten, vorrangig wegen leichter Sachbeschädigung, festgenonmmen, davon sind bislang nur drei Personen freigelassen. Unter den Festgenommenen befinden sich zwei Frauen, die angeblich in einer Lebensmittelabteilung Maden über die Wurst ausgestreut haben. Während der fünftägigen Aktionswoche gab es nach einer Zwischenbilanz der Polizei insgesamt 500 vorlaufige Festnahmen nach ASOG. Grüne und AL warfen der Polizei vor, „Festnahmen von Demonstranten mit konstruierten Vorwürfen“ vorgenommen zu haben. So seien auch friedlich demonstrierende Frauen und Straßenschauspieler nach ASOG in Gewahrsam genommen worden. Bis 20 Uhr war die U -Bahn-Linie 1 teilweise stillgelegt.

Festnahmen auch im Osten der Stadt

Sicherheitskräfte in Ost-Berlin haben etwa 50 Demonstranten festgenommen, die vor dem Pergamon-Museum gegen den Besuch von Teilnehmern des Weltwährungsgipfels im Westteil der Stadt protestiert hatten. Augenzeugen berichteten, die Demonstranten hätten Banner hochgehalten, Slogans gerufen und Münzen geworfen. Sicherheitsbeamte hätten sie in Richtung der Straße Unter den Linden getrieben, Uniformierte hätten sie bis zur Höhe der Kreuzung Friedrichstraße alle festgenommen. Bei den Festgenommenen soll es sich überwiegend um Mitglieder von Bürgerrechts- und Friedensgruppen handeln. Vermutlich seien auch einige West -Berliner unter ihnen, berichteten die Augenzeugen.

Kewenigs Audienz

In einem Interview mit der 'Frankfurter Rundschau‘ erhob Kewenig den Vorwurf, Journalisten hätten bei den Demonstrationen Gewalttäter unterstützt und die Bewegungsfähigkeit sowie Entscheidungsfreiheit der Polizei beeinträchtigt. Kewenig meinte, es gelte zwischen der grundgesetzlich abgesicherten Aufgabe der Polizei und der Pressefreiheit abzuwägen. „Es ist schlicht falsch, wenn man meint, die Presse ginge immer vor. Es ist genau umgekehrt. Erst erledigt die Polizei ihre Aufgabe, und dann kann begleitend oder hinterher die Presse darüber berichten.“

taz