Unsere erste Fernbedienung

■ "Erzähl doch mal": Aus einem Hörexperiment des WDR 3

Vor einigen Jahren gab Johannes Merkel, der neben einer Universitätsdozentur noch als Geschichtenerzähler in Kindertagesstätten arbeitet, ein Handbuch mit dem Titel „Erzählen - die Wiederentdeckung einer vergessenen Kunst“ heraus. Allzu früh, wie es mir im Nachhinein scheint. Seit aber der Redakteur der Medienseite, Droste, ebenfalls mit eigenen „Geschichten“ auf Tournee geht (und Lyotard „das Ende der großen Geschichten“ verkündete), ist es nun möglich, hier - enthusiasmiert - ein weiteres „Erzählprojekt“ vorzustellen:

Nachdem die Mitherausgeber der Mediencooperative „Network“ (Frankfurt), Anette Weweler und Martin Stankowski, im letzten Jahr ein Heft mit dem Themenschwerpunkt „Erzählen“ herausgegeben hatten, machten sie sich - zwischen Köln und Dortmund - auf die Suche nach verborgenen Erzähltalenten. Es waren dann vor allem Frauen, die bereit und in der Lage waren, spannende Geschichten in das vorgehaltene Mikrophon „frei“ zu sprechen („Ich denke, sie haben mehr Distanz zu ihren persönlichen Erlebnissen als Männer, darum können sie auch besser erzählen,“ meint Martin Stankowski dazu). Später wurde aus dem Tonmaterial für den WDR die Sendung „Erzähl doch mal“ sowie eine öffentliche Veranstaltung in Unna zusammengestellt. Wegen der außerordentlich positiven Hörerreaktionen sind weitere ähnliche Sendungen derzeit in Vorbereitung. Wir stellen hier die transkribierte Fassung der Geschichte von Irmgard Münch aus Dortmund vor. H.H.

Altes Schätzchen

Ja, ich werd da mal erzählen, wie wir unseren neuen Fernseher kriegten. Da war folgendes: Also wir kommen aus dem Winterurlaub, Geld war alle, wir kommen nach Hause: Fernseher kaputt. Nun war das sowieso ein altes Schätzchen, hatten wir bestimmt schon zwölf Jahre. Na, sagt mein Mann, jetzt, wenn's 'nen neuen gibt, dann gibt's aber nur einen mit Fernbedienung. Nicht mehr sowas, wie wir es bis jetzt hatten. Ja, ich sag, fürs erste ist doch gar nicht dran zu denken, wo willtste den 'nen Fernseher hernehmen, der kostet doch über 1.000 Mark. Na ja, nun haben wir ja noch‘ ne Oma, also ist meine Schwiegermutter, die ist noch sehr fit, ist zwar 79, aber ist noch richtig mit allem bewandert. Die hat z.B. diese Decke gestickt, im vergangenen Jahr, hat sich die Augen operieren lassen, seitdem stickt sie wieder. Na auf jeden Fall, wir haben Oma schön zum Essen eingeladen und haben ihr unsere Sorgen erzählt, daß wir keinen Fernseher haben. Ach, sagt sie, das ist ja furchtbar, nichts ist so schlimm als kein Fernseher, denn für die Oma ist ja, seitdem Opa nicht mehr da ist, Fernseher A und O. Ab aktuelle Stunde wie das heißt, sieben Uhr geht das los oder um sechs schon. Na, Oma kam, ja, wenn ihr wollt, ich kann euch was vorstrecken. Also, so schenken und so kann se auch nicht, so 'ne dolle Rente hat se nicht. Ja, sagt ich, das wär sehr gut, ich hab am 1.7. so einen kleinen Prämienvertrag frei, wie das so ist, sag ich, da kriegste das Geld wieder.

Sonntagsgebäck

Ja, sagt se, gut, und mein Mann konnte es ja gar nicht abwarten, sofort Montags hin, sie gab dann, ich weiß nicht, 1.300 DM, dann los in die Stadt, und dann hatte er sich eben den Fernseher, wie er sich das vorgestellt hat, geholt.

Ich mußte dann abends kommen, gucken, ob ich da auch mit einverstanden war, also eine mit Fernbedienung. Das muß ich jetzt vorausschicken, Sonntag drauf, Oma war wieder da, und mein Mann hatte im Laufe der Woche uns das allen erklärt. Also, wir mußten da genau zuhören, wie das geht mit der Fernbedienung. Detlef mußt es wissen, Anette, ich bin technisch auch nicht so besonders, aber ich mein, so umschalten das kann ich schon und laut/leise und so, na gut, wir das alles so gemacht, war alles prima. Sonntag war Oma da zum Mittagessen und jetzt wollten wir, mein Mann und ich, nachmittags so ein bißchen Fahrrad fahren, weil's Wetter schön war, naja Oma guckte fern, Anette, eine Freundin war dabei, Detlef - da war irgendsowas nachmittags - die guckten alle fern, naja, wir ziehen los, ne, mit unseren Rädern. Ab drei wollte mein Mann zurücksein, da kam ne Sportsendung, das ist ja bei uns auch immer so, ne, Vatter guckt Sport. Na gut, wir kommen hier wieder an, Anette hatte schön den Tisch gedeckt, sie hatte Waffeln gebacken, war ja alles wunderbar gewesen, und was war nicht da, mein Mann stürzte ins Wohnzimmer, will die Fernbedienung nehmen, die Fernbedienug ist nicht da. Oh GotteGott! Na, ich sag, kann man den Apparat denn nicht so umstellen. Er sagt, das heißt doch nichts, umstellen, dafür ist doch die Fernbedienung da, sagt er, ich will die Fernbedienug haben. Nun war Detlef allerdings nicht da. Mensch ich denk, der wird doch nicht so duselig gewesen sein, der ist los, hat se in die Tasche gesteckt, weil die sieht ja aus, wie so ein Taschenrechner. Aber ich denk, das gibt es doch nicht.

Flusen bei Schöllermann

Aber jetzt unsere Oma, jetzt kam die groß raus. Laßt mich mal machen, ich hab ein Näschen, ich finde immer alles. Ich sag, Mutter laß mal, na, die Mutter wieselflink auf allen Vieren kroch die durchs Wohnzimmer. Da hatte sie so einen dunkelblauen Rock an, da hatte sie Flusen, da Flusen, ich sagte, Mutter hör auf, wie soll die denn dahin kommen. Na, sie ging ins Badezimmer, jetzt konnte sie mal endlich alle Zimmer begucken. Sie bei Detlef rein, Gott, was sieht es bei dem Jungen aus, bei Anette rein: ach da war es nicht besser. Mein Gott, Mutter, sagte ich, tu mir einen Gefallen, das macht mich ganz verrückt, wir wollen erst Kaffee trinken, ich sag, ich finde die schon, die kann ja nur irgendwo sein, womöglich kommt der Detlef wieder und hat sie aus Versehen in die Tasche gesteckt. Ach und mein Mann, sagte: Technisch, technisch sind wir alles unbegabt. Die ganze Woche habe ich euch das erklärt, und jetzt ist die weg und, ach Mensch, sagte ich, Klaus hör doch auf, und er regte sich auf, und dann die Freundin von Anette, die sagte auf einmal, Mensch, wie bei Schöllermann. Ja, ja, sagte meine Schwiegermutter, wie bei Schöllermann, da hat es immer so 'ne Sendung gegeben. Naja, Mutter, sagt ich, wenn du jetzt wenigstens, nein sagte se, das läßt mir keine Ruhe, sagt sie, ich hab bis jetzt alles gefunden, ich hab ein Näschen. Na, ausgerechnet an dem Tag hatte ich keine Betten gemacht. Sie wuselte im Schlafzimmer rum, sie hatte alles inspiziert, aber keine Fernbedienung hervorgeholt. Gott, denk ich, das kann ja heiter werden, dann kriegte ich so richtig den Lack ab. Ja, sagte, siehste ja wie du mit deinen Kindern, und jetzt mußte ich auch noch lachen, das ist bei mir sowieso immer so. Wenn es zu kritisch wird, plötzlich lache ich. Sagte, hier kannste doch nicht lachen, das ist ja typisch für dich, du lachst, die Blagen machen den größten Mist, sagte sie, wie sehen denn die Zimmer aus und so. Es sah an dem Tag auch alles nicht besonders aus, nicht, wie das eben so ist, es ist ja meistens was.

Mutti ist lieb

Na, in dem Moment schellte es, steht Detlef vor der Tür. Ich sagte: Detlef, hast du die Fernbedienung. Nee, sagte er, und mein Mann kam auch sofort raus, er hatte sich das mittlerweile zwar eingestellt, seine Sportsendung, aber kam auch wutentbrannt. Wo haste die Fernbedienung. Wieso sagte er, ist doch ganz klar, wer die Fernbedienung hat, die hat Oma in der Tasche. Ich sagte: „Wieso das?“ Na Oma hat uns das Geld geliehen, und bis wir zurückzahlen hat sie die Fernbedienung an Land gezogen. Ach, sagte Oma, red doch nicht so einen Mist, und darüber mußte ich ja wieder so lachen, na, nun kriegte ich es wieder von beiden Seiten. Mein Mann auch: Über den Mist von den Kindern kannste am meisten lachen und Oma : Ja, ja, lachste immer über alles, lachst, deswegen haste dich auch nicht im Griff und unsre Anette dann: Unsre Mutti ist die beste und so - die Kinder halten immer zu mir, ich kann wirklich Quatsch machen, ich weiß nicht, warum es so ist, es ist aber bei uns so. Na, sagte ich, Detlef jetzt red kein Stuß, du mußt die Fernbedienung gehabt haben. Er maschiert in sein Zimmer, kommt wieder und sagt: Habt ihr mich denn auch wieder lieb. Ich sag, red doch nicht so, macht er wie so ein kleiner Junge., Ich sag, wieso sollen wir dich denn wieder liebhaben, das ist doch Blödsinn, was ist denn nun. Mensch, sagt er, Mutti, ich hab sie, sie liegt genau da wo sein Taschenrechner lag. Sie sieht ja auch so aus. Jetzt hatten sich ja erst mal die Wogen geglättet, aber Oma sah aus, Oma war ja nun überall rumgekrochen, auch im Schlafzimmer, da haben wir so einen Berber, der nimmt ja auch die Flusen und sie hatte ihren dunkelblauen Rock an, überall hatte sie so Flüsje, na, ich hab sie ihr dann abgebürstet, aber sie konnte sich nicht so richtig beruhigen.

Na siehste

Das hat mich eben so gewurmt, sie hatte es jetzt auch mit unseren Kindern. Sie hatte dann überall reingeschnüffelt, ne, und hielt mir dann wieder die Kinder von meiner Schwägerin vor, wie gut die, wie in Schuß die das alles haben. Abends rief meine Schwägerin noch an, hab ich ihr das erzählt, sagte sie, das ist ja das erste Mal, das Oma was gutes über unsere Kinder gesagt hat. Na, sagt ich, wahrscheinlich wo sie gerade ist und was sie so erlebt. Ich hatte so richtig Wut auf meine Schwiegermutter, obwohl ich mich sonst gut mit ihr verstehe. Also mein Mann brachte sie dann nach Hause, also sie konnte sich immer noch nicht beruhigen. Aber dann kommt mein Triumph. Montag ruft sie an, mit ganz kläglicher Stimme. Montagnachmittag. Ich sagte, Mutter, was ist los.

Ach, sagte sie, ich kann ja nicht hoch, was haste denn, mein Rücken, mein Rücken, na, siehste, sagte ich, biste gestern auf allen Vieren gekrochen, die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort, ich sagte, heute haste's im Rücken. Ja, da hat sie zwei Tage flachgelegen. Die ist aber auch, mit 79, muß man sich mal vorstellen, durch die ganze Wohnung, nicht, na, ja aber dann bin ich doch den nächsten Tag hingefahren und hab dann doch gesagt, Mutter, ich hab ihr das dann doch nicht mehr übelgenommen, nicht und hab sie dann ein bißchen versorgt. Na, das war die Sache mit der Fernbedienung.