"Recke aus dem Deutschland-Achter"

■ Matthias Mellinghaus, Goldmedaillengewinner im Rudern, verwahrt sich gegen pathetischen Nationalismus, imperiale Träume und die Wendephilosophie im Sport

FLIPS & FLOPS

Die Goldmedaille. Ein Jahr haben wir ausschließlich auf dieses Ziel hingearbeitet. Studium, Arbeit und manche die Freundin dabei vernachläßigt. Mit jedem unserer Siege wurde der Druck von außen stärker. „Der Achter wird siegen oder untergehn“, mit diesem grotesken Satz hat der frühere Ruderer, heutige Hotelier und Hobbyjournalist Moritz von Groddeck die Erwartungen vor dem Endlauf auf die Spitze getrieben. Offenbar ist Rudern jetzt ein Kampf auf Leben und Tod geworden. Wehe, wenn wir verloren hätten.

Aber jetzt sind wir wer, alle sind unsere Freunde, wir werden herumgereicht. Im „Deutschen Haus“, das in einem Protzbau residiert, moderieren Journalisten improvisierte Talk-Shows. Das Knäuel aus Sport, Politik und Wirtschaft ist hier nicht zu entwirren, und die Sportler wirken fast fehl am Platze. Von Daimler kommt das erste Angebot: ein Auto vier Wochen lang gratis zum Testen, über die Konditionen danach könne man später reden. Ich lehne dankend ab.

Ein leitender Angestellter des Konzerns ist ganz verständnisvoll. Es sei wichtig, daß auch junges, kritisches Potential nachwachse, sagt er. An den anderen Ständen werden wir immer wieder fotografiert, der „Deutschland-Achter“ muß ins Bild. So unverschämt und anmaßend der Begriff ist durch den Alleinvertretungsanspruch, den er impliziert, es ist uns nicht gelungen, ihn loszuwerden. In der 'Welt‘ werden wir zum Idealtypus der Wendephilosophie gemacht: jung, dynamisch, erfolgreich. Auch ZDF-Esser, ansonsten übers Rudern gut informiert, ist der Begriff nicht abzugewöhnen. Wir starten nun mal für die Bundesrepublik und nicht fürs großdeutsche Reich. Aber der Beifall kommt eben auch aus der falschen Ecke. So mancher nette alte Herr bekommt schon feuchte Augen, wenn er uns „Recken mit Gardemaß“, eine Lieblingsphrase der Presse, siegen sieht. Da werden auf eine andere Art alte, beinahe imperiale Träume wach. Es ärgert mich deshalb maßlos, wenn der Fechttrainer Emil Beck lauthals verkündet, der Erfolg seiner Fechter sei ein „Sieg des Westens über den Ostblock“.

Vorbei sind die 70er Jahre, als Sportwissenschaftler und Sportler von neuen, den internationalen Charakter betonenden Olympischen Spielen träumten. Internationalismus ist out, fragwürdige Medaillenspiegel, zu nichts anderem nütze als nationale „Überlegenheit“ zu dokumentieren, sind in. Auf nationaler Ebene müssen wir Ruderer als Kontrast zum „schlechten Abschneiden“ der Leichtathleten herhalten. Deren Funktionär fühlt sich bei seinem Bericht im „Deutschen Haus“ sichtbar unter Druck und bekennt: „Da gibt es wohl nichts zu entschuldigen.“ Nur der Hürdenläufer Harald Schmid hat den Mut zu sagen, er sei mit seiner Leistung zufrieden, die den 7. Platz im Finale gebracht hat. Stirnrunzeln bei den Funktionären.

Nirgendwo wird deutlicher, daß das Motto „Dabeisein ist alles“ pure Heuchelei ist. Der Erfolg ist das Maß aller Dinge. Wird er nicht erzielt, schlägt die Stimmung für die Sportler um in Verachtung: „Nationale Hoffnungsträger“ haben versagt. Das beste Beispiel ist Ben Johnson, der vom Helden zum Geächteten gestempelt wurde. Er hat sich gedopt, weil die Angst vor der Niederlage und die Aussicht auf kurzlebigen Ruhm plus materielle Gratifikation die Hemmschwelle senken, leistungsfördernde Mittel einzunehmen. Es sind dieselben Moralapostel, die über eine mehr oder minder offen postulierte „Pflicht zum Sieg fürs Vaterland“ Athleten unter Erwartungsdruck setzen und sie dann, kapitulieren sie darunter, als Verlierer oder (gedopte) Schande der Nation hinstellen. Wissen die wirklich nicht, worüber im Olympischen Dorf ganz offen geredet wird? Daß zum Beispiel fast alle Weltklasse-Leichtathleten dopen. Ben Johnson hatte das Pech, erwischt zu werden.

Nichts gegen internationale Sportfeste, aber mit der jetzigen Form der Spiele kann ich mich nicht identifizieren. Was bleibt, ist die tagtägliche Schwierigkeit zu entscheiden, was man noch mitmachen kann, was nicht, und der schale Beigeschmack, trotz punktueller Verweigerung an der großen Unterhaltungs-Vermarktungs-Show mitzuwirken. Was bleibt, sind die 15.000 Mark von der Sporthilfe und das Geld aus der Vermarktung des Achters, wobei wir davon fast 30 Prozent an Verband und Sporthilfe abführen müssen. Verschwindend geringe Summen im Vergleich zu Tennis- und Fußballspielern, die sich dumm und dämlich verdienen, auch im Vergleich zu den fetten Spesen der Manager des IOC, das sich in seinem Geschäftsgebaren in nichts von einem Konzern unterscheidet. Ich glaube in den Jahren, als ich auf dem Bau die Schippe geschwungen habe, ist für mich mehr herausgesprungen.

Was bleibt, ist das unbeschreiblich schöne Gefühl im Augenblick des Erfolgs, die Erinnerung an die letzten Meter, die wir in Trance gerudert sind, an Thomas, der mir von hinten zuzischte „Alles, Matthes!“, als ich bei den letzten Schlägen Druck wegnehmen wollte. Es bleiben die vielen Sportler aus aller Welt, mit denen ich tagelang gefeiert habe. Hier ist vielleicht noch etwas „Olymische Idee“, für die bin ich der Ruderer „Matthes“ und nicht der „Recke aus dem Deutschland-Achter“.

Matthias Mellinghaus