„Das Bewußtsein wächst: Schulden unbezahlbar“

■ Nicaraguas Finanzminister Joaquin Cuadra ist Delegationsleiter bei der IWF- und Weltbanktagung

taz: Was sagen Sie zu den Protesten gegen die Tagung? Unter denen, die da die vollständige Schuldenstreichung fordern, befinden sich ja auch viele Nicaragua- und Mittelamerika –Solidaritätsgruppen.

Joaquin Cuadra: Eine schwierige Frage – schließlich können wir es uns nicht leisten, noch eine zusätzliche Kriegsfront zu eröffnen und gegen die Banken eine sehr aggressive Position einzunehmen. Beim Verschuldungsproblem sind wir pragmatisch. Wir gehen nur so weit, zu sagen, daß es physisch unmöglich ist, diese Schulden zu zahlen, und daß sich das auch auf viele Jahre nicht ändern wird.

Sie folgen also nicht Fidel Castro, der Schuldenstreichung fordert?

Castro sagt das, aber er zahlt. Wir sagen nichts – aber wir zahlen auch nicht. Wir können ja auch nicht zahlen.

Nicaragua hat früher einmal versucht, ein lateinamerikanisches Schuldnerkartell auf die Beine zu stellen ...

Seit 1980 treten wir dafür ein, daß die Schuldnerländer einen eigenen „Club“ gründen – so wie die Gläubiger ihren „Pariser Club“ und die Geschäftsbanken ihre Verhandlungskomitees haben.

Aber anscheinend hatte Ihre Position hier in Berlin nicht einmal in der Gruppe der 24 – also der Entwicklungsländer eine Chance.

Die großen Schuldnerländer wollen das nicht. Sie glauben, bei separaten Verhandlungen bessere Bedingungen zu bekommen.

Das Lenkungsgremium des IWF suggeriert in seinem Berliner Abschlußkommunique, daß alle Länder – Schuldner wie Gläubiger – nichts von einem allgemeinen Schuldenerlaß hielten.

Aber gleichzeitig sind die Schulden – durch die aufgelaufenen Zinsen vor allem – so gestiegen, daß im letzten Jahr auch das Bewußtsein darüber gewachsen ist, daß die Schulden unbezahlbar sind. Bis dieses Bewußtsein sich aber in Handeln umsetzt, wird noch viel Wasser unter den Brücken hindurchfließen.

Der Chef der Deutschen Bank spricht jetzt immerhin von „Schuldenerleichterungen“.

Ja, das ist ermutigend. Vorher war eine solche Sprache ja eine Todsünde.

Nicaraguas Außenverschuldung beträgt etwa sieben Milliarden Dollar – einschließlich der Kreditschulden bei den sozialistischen Ländern – und Nicaragua ist weiter Mitglied des IWF. Warum bekommen sie vom IWF seit langem keine Kredite mehr?

Wir haben keine Kredite beantragt, weil die IWF-Kredite immer an Anpassungsprogramme gekoppelt sind. Wir befinden uns immer noch in einer Kriegssituation und glauben nicht, daß wir ein Programm des Fonds durchführen könnten. Egal wie weich die Bedingungen wären, wir könnten die quantitativen Ziele nicht erreichen. Aber wir haben ja, um das interne Gleichgewicht unserer Wirtschaft wiederherzustellen, ein Programm, das vielleicht schärfer und radikaler ist, als das, das der IWF uns vorschlagen würde.

Ist dieses Anpassungsprogramm mit seinen wirtschaftsliberalen Maßnahmen – Freigabe der Preise, radikale Abwertung und Subventionsstreichungen – noch mit dem sozialistischen Anspruch Nicaraguas vereinbar, den Präsident Ortega in der letzten Zeit besonders betont hat?

Für uns ist der Sozialismus nicht ein Ziel für morgen oder übermorgen, sondern ein Idealziel für die perfekte Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft. Verwirklichen werden wir es, sobald wir können.

Was halten Sie von einer Schuldenumwandlung in Kapitalbeteiligungen (debt for equity swaps) – sagen wir, an einem internationalen Hotel in Nicaragua?

Das müßte man sehen. Wir haben ein Gesetz über ausländische Investitionen, dem sich das unterordnen müßte. Lösungen jedenfalls, die zum Ausverkauf des Landes führen würden, sind uns nicht willkommen. Solche Investitionen können auch sehr starke Herrschaftsinstrumente sein. Und ein schwaches Land kann es sich nicht leisten, seine Entwicklung an eine solche Macht zu koppeln. Alle Vorschläge muß man auf ihre Vereinbarkeit mit der Entwicklungsstrategie des Landes überprüfen.

Nicaragua hat nach Brasilien den größten tropischen Regenwald Lateinamerikas. Würde sich Nicaragua auf das Modell der debt for nature swaps einlassen? Das hieße, daß zum Beispiel US-amerikanische Nichtregierungsoragnisationen einen Schuldentitel Nicaraguas aufkauften und Ihre Regierung sich dafür verpflichtete, Geld in nationaler Währung zur Erhaltung des Regenwaldes zu investieren – so wie es das schon in Peru und Costa Rica gibt.

Es gibt keine Lösung, gegen die wir uns dogmatisch sperren würden. Wir müssen im Gegenteil sehr pragmatisch sein, um auch unseren finanziellen Frieden mit der Welt zu machen. Aber konkret hinge das von dem Projekt und von der Art der Organisation ab. Wenn zum Beispiel die Jesuiten, die sich letzthin sehr progressiv gezeigt haben, mit einem Projekt kämen, dann wäre das etwas anderes, als wenn eine dieser Organisationen ankäme, die uns als Instrumente des CIA ideologisch und kulturell durchdringen wollen.

Interview: Michael Rediske