Warum strahlt die Bio-Milch?

■ 'Demeter'-Milchprodukte haben höhere Radioaktivitäts-Werte als die aus Großmolkereien / Größte Lieferantin „Molkerei Sottrum“ bei Bremen / Bio-Läden sparsam mit Informationen / Moorige Weiden sind schuld

Die strahlende Wolke aus Tschernobyl hat noch immer ihre Wirkung - und das nicht nur in türkischen Haselnüssen oder schwedischem Rentierschinken. Ausgerechnet in den biologisch -dynamisch erzeugten Milchprodukten einer norddeutschen Molkerei haben Messungen der letzten Woche eine so hohe radioaktive Belastung ergeben, daß so manche Eltern die Nuckelflasche ihrer Kleinkinder damit lieber nicht füllen. Zwar liefert der „Demeter„-Verteilerdienst zu jeder Charge Milch, Quark oder Trinkjogurt Listen mit den entsprechenden Becquerel-Werten an die Naturkostläden oder Reformhäuser mit, aber dort landen sie meist unter statt auf dem Ladentisch. Daß ausgerechnet Bio-Milchprodukte aus Norddeutschland höher belastet sein sollen als ganz normale Milch aus Großmolkereien, mag die Verkäuferin im „Schwarzbrot“ - einem Naturkostladen im Hamburger Uni -Viertel - einfach nicht glauben. Auf Nachfrage verweist sie auf einen eher unauffälligen in einem der untersten Regale plazierten Ordner mit dem Etikett „Radioaktivitätsmessungen“. Über das, was drin in den neusten Meßprotokolen abzulesen ist, scheint sie selbst etwas verblüfft: Zwar bewegen sich die Caesium-Werte bei der „Bioland„-Milch und der „Demeter„-Vorzugsmilch etwa um die Nachweisgrenze (zwei bis

vier Becquerel pro Liter) decken sich also mit den Meßergebnissen der Hamburger Gesundheitsbehörde bei konventionellen erzeugten Milchprodukten. Aber die pasteurisierte Frischmilch der „Molkerei Sottrum“ - immerhin größte Lieferantin von Demeter-Milchprodukten in Hamburg weist zumindest für die letzten Monate Radioaktivitätswerte zwischen zehn und fünfzehn Becquerel pro Liter auf; eine ganze Menge mehr also als beispielsweise die Milch der Hamburger Großmolkerei 'Hansano‘. „Wer weiß, wo die ihre Milch wirklich herkriegen“, sinniert die Schwarzrot -Verkäuferin, und Zweifel an der Richtigkeit amtlicher Messungen klingen mit. Doch es gibt eine einfache Erklärung für die Becquerel-Diskrepanz zwischen konventionellen Großmolkereien und der in der Nähe Bremens angesiedelten Molkereien Sottrums, die ihre Milchprodukte mit dem Gütesiegel „Demeter“ nur von ausgesuchten landwirtschaftlichen Betrieben bezieht. Unter diesem kleinen Lieferantenkreis befinden sich nämlich zwei Höfe mit besonders moorigen Weideflächen. Dort können die radiaktiven Partikelchen nur sehr langsam absacken und sind deshalb noch immer in relativ hohen Dosen im Viehfutter vorhanden. Wo Hunderte von Bauern ihre Milch vermischen - also in Großmol

kereien -, fallen solche Ausreißer nicht so stark ins Gewicht wie in Sottrum: Dort sind eben nur fünf Landwirte berechtigt, in den Demeter-Milchtank einzuspeisen. Für Jürgen Berger, Chef des Demeter-Verteilerdienst, der seine Lieferung regelmäßig von der Umweltschutzgruppe Physik/Geowissenschaft auf Radioaktivität messen läßt, ist die Radioaktivität aber „nur eine von mehreren Komponenten“ zur Qualitätsbestimmung seiner ohne Chemi und nitrathaltiger Gülle gedüngten Waren. Immerhin hat er vergeblich bei den Sottrumern darauf gedrungen, die belasteten Höfe aus der Demeter-Milchproduktion herauszunehmen. Günstiger wäre es nach seiner Meinung, die strahlende Milch nur für die Quarkproduktion zu verwenden, wo die am stärksten belastete Molke abgesondert wird. Doch wenn die Molkerei allein für fünf Höfe zwei Tanklastwagen zur getrennten Erfassung losschicken müßte, wäre ihre Milch kaum mehr zu bezahlen. Der Konkurenzdruck zwischen Sottrum und den größeren süddeutschen Demeter-Molkereien ist hoch. Auch die Existenz der biologisch-dynamischen Höfe steht durch die Folgen des Tschernobyl-Fall-Outs auf dem Spiel: Würden sie ihre mit großem Arbeits- und Kostenaufwand erzeugte Milch zum üblichen Preis losschlagen, hätten sie Einbußen zwischen 20 und 30

Prozent.

Gegenüber diesen wirtschaftlichen Erwägung fällt das Recht der VerbraucherInnen auf Information derzeit buchstäblich unter

den grünen Ladentisch, liegen Listen mit Radioaktivitäts -Meßwerten im Hinterstübchen oder unter dem Ladentisch. Gabi Haas, taz H