Armer kranker Westen

■ Gesundheitstreffpunkt und BIPS veranstalteten „Aktionswoche Gesundheit“ in Gröpelingen / Soziale Benachteiligung und Umweltbelastung machen krank

„Als ich die Einladung zu der Veranstaltung gelesen habe“, erzählt Gustav Jensen vom Betriebsrat Klöckner, „da mußte ich lachen: 'Wie gesund lebts sich im Bremer Westen‘. Und wenn ich dann weiterlese, 'Gesundheit beinhaltet ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden‘, dann sind bei uns auf der Hütte selbst die Angestellten alle krank. Nur beim Werksvorstand muß das soziale Wohlbefinden wohl gut sein, nachdem sie im letzten Jahr so viel Profit gemacht haben.“ Die Klöcknerarbeiter leiden unter „Schichtarbeit, Gefahrstoffen und erhöhtem Streß, nachdem 1.000 Arbeitsplätze abgebaut wurden, die Produktion aber gewaltig angestiegen ist“ erklärte Gustav Jensen.

Eine Studie des Bremer Instituts für Präventiv-und Sozialmedizin (BIPS) hat ergeben, daß die Werte bestimmter Risikofaktoren (Alkohol, Cholesterin, Nikotin) in Gröpelingen höher liegen als in anderen Stadtteilen und anderen Städten in der BRD. „Welche Probleme gibt es im Bremer Westen, und welche Lösungsmöglichkeiten bieten sich an?“ wurde am Donnerstagabend in den Räumen des Dachverbandes der Ausländer-Kulturvereine auf dem ehemaligen AG-Weser-Gelände diskutiert.

Der Bremer Westen hat eine besondere Sozialstruktur, „hier leben benachteiligte Bevölkerungsschichten, und viele Probleme der gesamten Stadt werden auf sie abgeschoben“, erklärte der Ortsamtsleiter des Bremer Westens, Bernd Peters. Hier leben vor allem Arbeiter, die Stadtteile haben eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote und einen hohen AusländerInnenanteil.

„Überall wo es Eisenbahnstrecken gibt, gibt es auch Türken“ sagte der türkische Arzt Ismail Apul. „Ausländerprobleme gibt es seit 100 Jahren, früher waren es Polenprobleme, heute sind

es Türkenprobleme“. Sprachliche Probleme und kulturelle Schranken erschwere es den türkischen Mitbürgern, ihre Probleme zu artikulieren; daß die ärztliche Betreugung der Türken gut sei, „ist eine Lüge“.

Sein deutscher Kollege Ernst Bösenberg bestätigte ihm, daß die Patienten überwiegend psycho-soziale Probleme haben. Integrationsschwierigkeiten, Desillusionierung in Bezug auf ein zweites Leben in der Türkei und die Pespektivlosigkeit für ihr weiteres Leben hier hätten dazu geführt, daß die Anzahl der Krankschreibungen steigt. Er forderte, daß für türkische Arbeitnehmer Lebensbedingungen geschaffen werden, die ihnen hier eine Perspektive ermöglichen, denn „solange die halbe Familie auf den Koffern sitzt, kann sie kein gesundes Leben führen.“

Vor allem die Frauen auf dem Podium konnten erste Projekte vorstellen, in denen Hilfe und Lösungsmöglichkeiten angeboten werden. Hiltrud Lübben von der Fraueninitiative Quirl schilderte die besondere Lage der Frauen, die geprägt sei durch Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit und häufig zu Isolation und Ersatzbefriedigung mit Zigaretten und Alkohol führe. „Quirl“ ist eine Ausbildungsinitiative für Frauen. Sozialarbeiterische Betreuung soll dabei helfen, daß familiäre Probleme nicht wieder zum Abbruch der Ausbildung zwingen. Dem Projekt ist außerdem eine Kinderbetreuungsstätte angeschlossen.

Der Gesundheitstreffpunkt West des BIPS hat in Zusammenarbeit mit 30 anderen Initiativen vom 26.Sept. -1.Okt. eine „Aktionswoche Gesundheit“ veran

staltet. In den Räumen des Dachverbands der Ausländer -Kulturvereine wurde auf Stellwänden, an Informationsständen, auf Vorträgen und Seminaren über alle möglichen Aspekte der Gesundheit informiert. „Unser Ziel ist es, darauf aufmerksam zu machen, was für Gruppen es im Stadtteil gibt und eine Zusammenarbeit zwischen ihnen allen anzuregen“ sagte Gabi Schneider, „für uns ist das Neuland gewesen.“

Zum Abschluß der Diskussion am Donnerstag schlug sie vor, einen „Arbeitskreis Gesundheit“ zu bilden, in dem die verschiedenen Gruppen gesundheitliche und soziale Probleme des Stadtteils besprechen können und aktiv werden sollen. Vorarbeit für diesen Zusammenschluß sei die Gesundheitswoche gewesen.

Roswitha Bünjer