DER EWIGE HIPPIE

■ „Dream Syndicate“ im Loft

Das 70er-Revival stapft mit Siebenmeilenstiefeln voran, und jeder sollte sich schon jetzt überlegen, ob er nächstes Jahr mit Plateausohlen durch die Gegend stapfen will. Sie sind wieder da, die ewigen Hippies, auch wenn sie wahrscheinlich nie weg waren, gut getarnt. Aber niemand ist so weit wie das „Dream Syndicate“, sieht aus wie eine Horde zu spät gekommener Existentialisten und spielt wie Hendrix meets Page meets Dylan, und alle tanzen zusammen auf den Knochen von Grateful Dead.

Es treten auf: Steve Wynn, der ewige All American Boy, gestolpert über eine Kiste vollgestopft mit schwarzen Rollkragenpullovern, der nie alternde 24jährige, der vor sechs Jahren schon so aussah und wahrscheinlich auch noch im Sarg liegend verschmitzt grinsen wird. Dazu Paul B. Cutler, der der Vater vom Rest und vom Publikum sein könnte, aussieht als wäre er schon damals dabei gewesen, vielleicht der kleine Bruder von Jerry Garcia, und hätte seit 20 Jahren nichts anderes gemacht als Drogen nehmen. Bassist und Schlagzeuger als unauffällige Teppichleger für die exzessiven Reminiszensen der beiden anderen.

Ihr Anliegen ist die Zeit stillstehen zu lassen. Sie packen in jeden Song die ganzen 70er, beginnen mit einem folkigen Riff, das übergeht in ein ellenlanges Intro, und wo andere mit dem Song fertig sind, fangen sie an, noch die Punkversion davon zu spielen, und weil sie schon dabei sind, auch die zappaeske. Die Übergänge sind meistens fließend. Ohne daß man es richtig registriert, wird aus dem folkigen Geplänkel ein punkiges Dreschen, manchmal geht's überraschend, erschreckend schnell, und mehr als einmal fragt man sich ob das jetzt noch dasselbe Lied oder das von vorhin oder das neue ist. „Dream Syndicate„-Konzerte sind nicht eingeteilt in Abschnitte, erst mal drei schnelle, dann drei langsame Lieder. Ein „Dream Syndicate„-Konzert ist ein einziges Stück, bei dem sich die Gitarristen beharken, gegeneinander anspielen, sich mit Lautstärken hinters Licht führen.

Mr.Cutler an der Leadgitarre hat ein Faible für all die alten schönen Gitarren-Heroe-Posen, ist aber halt nicht mehr der jüngste und hat deshalb ein paar Schwierigkeiten, das Intrument hinter den Kopf zu bekommen. Dafür hat er allerdings die krudesten Ideen, wenn es darum geht, die Gitarre mit Gegenständen zu malträtieren. Schraubenzieher, Messer, eine Gurke, wo hat er diese Gurke her? Und schließlich der gute alte Geigenbogen, ich wußte, er wäre so gern Jimmy Page.

Seit Neil Young vor fünf oder sechs Jahren habe ich es nicht mehr erlebt, daß jedes Gitarrensolo beklatscht und Finger geschnippt wurden anstatt mitgeklatscht. Sie zerren und dehnen, lassen die Zeit stillstehen. Langsam, immer langsamer, unabhängig von den beats per minute, haben sie immer die Ruhe weg, bei den Geräuschorgien genauso wie bei den Fetzern, wenn die Saiten splittern. Es ist wie ein riesiges Stück Slime, das sich von der Bühne wälzt, zuerst die Füße festklebt, langsam hochsteigt und das Hirn gemächlicher arbeiten läßt. Es macht wippen, die Augen schließen und versuchen jeden Ton einzeln zu hören. Es macht glücklich wie Kiffen, weil die Zeit langsamer vergeht, ein paar Minuten mehr verschenkt werden, es ist ein zugegebenermaßen hoffnungsloser Angriff auf die Vergänglichkeit der Zeit.

Thomas Winkler