DER TRANSZENDENTE TRANSI

■ Über den ersten Stipendiaten von „Projects UK.“ in Berlin: Stephen Rowe

Am Tresen einer Kneipe namens „Limit“ habe ich Stephen Rowe kennengelernt, als ich ihn fragte - weil er Englisch sprach und seine Haare so seltsam rötlich leuchten - ob er Ire sei. Nein, Stephen Rowe ist aus Newcastle im Norden Englands. Nach drei Monaten in Berlin kehrt er Anfang Oktober nach England zurück. Seinen Aufenthalt - er ist Maler ermöglichte Projects UK., ein linksorientierter Künstlerverband, der mit Installationen, Videokunst und politischen Plakataktionen auf sich aufmerksam gemacht hat.

Das neueste Projekt von Projects UK. ist ein Künstleraustausch mit Berlin. Ab 1990 sollen drei Künstler aus Belfast, Glasgow und Newcastle nach Berlin kommen, und andersherum sollen drei Berliner Künstler in diese drei Städte eingeladen werden. Stephen Rowe war der erste britische Künstler, der - quasi testweise - nach Berlin geschickt wurde. Dabei hatte er sich eher zum Spaß beworben, denn als figürlicher Maler rechnete er sich bei dem an Aktionen orientierten Verband keine Chancen aus. Aber vielleicht war Projects UK. schlau, gerade ihn zu schicken. Denn Stephen Rowe erschien in etlichen Berliner Galerien, unübersehbar: als Frau. Und in Frauenkleidern malt er sich auch, ausschließlich, seit drei Jahren. Die taz sprach mit Stephen über Berlin, die Kunst und seine Leidenschaft.

taz: Du bist mit einem Stipendium nach Berlin gekommen. Ist es für dich das erste Mal in Berlin?

Stephen Rowe: Ja.

Erinnert dich irgendetwas hier an Zuhause?

Nein, es ist völlig anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte den Eindruck, daß die Leute hier geradezu fantastisch tolerant sind. Im Gegensatz zu den Leuten im Norden Englands sind die Leute extrem offen. Vielleicht ist es auch nur oberflächliche Freundlichkeit; aber da ich tue, was ich tue: daß ich mich als Frau anziehe und ausgehe - da gab es keine feindlichen Reaktionen.

Nur keine feindlichen, oder keine Reaktionen?

Nein, die Leute gucken, und sie lächeln - und ich weiß, daß ich manchmal ziemlich ulkig aussehe. Ich gebe keine überzeugende Frau ab. Aber ich will auch nicht als Frau überzeugen. Ich will ein Mann sein, der Frauenkleider trägt.

Aber auch wenn die Leute hier lachen, ist es freundlich. In England werde ich dabei doch manchmal sehr nervös und angespannt. Da ist immer die Drohung in der Luft ... nicht gerade körperlicher Gewalt, aber innerer Aggression, daß Leute johlen und höhnisch werden, kichern, brüllen ... Das hat es hier nicht gegeben.

Wenn du dich zurechtmachst: willst du dann provozieren?

Es hat etwas davon, aber deswegen mache ich es nicht. Wenn ich Frauenkleider trage, ist das meine Art, das Weibliche an mir sichtbar zu machen, das ich sehr wohl habe, ob du es glaubst oder nicht, trotz der Muskeln ... Aber es gibt da in meinem Transvestismus eine Spur von Exhibitionismus. Ich mag es, wenn Leute mich ansehen, wenn ich der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bin. Das macht schon Spaß, bei einer piekfeinen Galerie reinzusegeln, mit einem schönen Rock an, Pettycoat, das Haar ist schön, ein Band drin oder so, mit Make-up, und du weißt, daß alle dich ansehen.

Du bist zu vielen Eröffnungen gegangen so. Hat das Sich -Zurechtmachen für dich eine direkte Beziehung zur Welt der Kunst? Ich meine, du ziehst dich nicht so an, wenn du einkaufen gehst.

Nein, das nicht. Zuhause laufe ich oft so rum. Hauptsächlich mache ich mich zurecht, um abends auszugehen. Aber nicht nur zu Eröffnungen. Manchmal gehe ich so in die Kneipe an der Ecke. Da trinke ich dann ein paar Biere und ordne mir die Röcke und betrachte meine Fingernägel.

Aber es stimmt schon, das Verkleiden und die Kunst sind für mich zueinandergekommen. Soweit ich mich erinnern kann, haben mich Frauenkleider immer angezogen, ich wollte die immer tragen. Aber ich habe das unterdrückt, versteckt, mich schuldig gefühlt.

In der Schule mußtest du die Schuluniform tragen...

... ja, was nicht gerade angenehm war.

Es ist militaristisch, zementiert die Geschlechterrollen.

Jede explizit männliche Kleidung, besonders Uniformen, sind das komplette Gegenteil dessen, was ich will. Vor drei Jahren fing es dann an. Erst bin ich zu den schicken Maskenbällen als Frau gegangen. Da haben vielleicht ein paar Leute etwas geahnt oder auch nicht. Und dann bin ich aus dem Kleiderschrank-Versteck herausgetreten („come out“). Das ist ein schwuler Begriff; ich bin nicht schwul, aber es war schon das Heraustreten. Ich habe ein lebensgroßes Bild von mir in Frauenkleidern gemalt, frontal, fast herb. Das war dann in einer Ausstellung. Ich kam verkleidet zur Eröffnung. Es gab keinen äußeren Grund, da verkleidet aufzutauchen. Da gab es dann keinen Zweifel mehr, was für einer ich bin. Das habe ich nie bereut. Meine ganze Arbeit kreist zudem um sexuelle Identität; um die Konditionierung durch Kleidung.

Was hast du davor gemalt?

Ja, was war da drauf ... schwangere Frauen hauptsächlich.

Hattest du Schwangere als Modelle?

Ja, einmal hatte ich ein Modell aus Hamburg, Regina. Sie war sehr schön, hochschwanger. Von ihr habe ich drei Bilder gemalt. Ich habe auch Stilleben gemalt. Und meine Frau. Ich wollte irgendwie weibliche Dinge malen; aber ich habe dabei irgendwie was zurückgehalten. Nachher habe ich mir gedacht: Du hast ja nur eine bestimmte Anzahl Jahre auf diesem Planeten. Ich will nicht mein Leben hinter einer Fassade verbringen. Eine Lüge leben, fast.

Seitdem hat meine Kunst eine Richtung. Leute sagen: Dir werden die Ideen ausgehen, du kannst nicht immer dich selbst malen. Aber es funktioniert wie mit jeder anderen Obsession: Je näher du es dir betrachtest, desto mehr findest du.

Muß es gemalt sein? Oder könnte es auch Fotografie sein?

Fotografie, ja ... ich akzeptiere Fotografie als eine legitime Kunstform. Aber mich interessiert das tatsächliche mechanische Bauen eines Bildes.

In welchem Sinn „mechanisch“?

Daß man die Schichten übereinanderlegt, daß man etwas wegkratzt, der ganze Prozeß, ein Ölbild herzustellen. Auch der ganze Zufall, der da dranhängt. Na ja, tatsächlich würde ich es toll finden, wenn ein richtig guter Fotograf käme und mich fotografierte. Da ist jetzt aber reine Eitelkeit...

Für die Fotografie muß das Objekt ja in seinen endgültigen Zustand gebracht werden, damit man abdrücken kann. Wenn du malst, hast du Zeit, die Rolle zu reformulieren?

Ganz bestimmt. Aber am Ende ist das Bild gesichert. Hypothetisch für immer.

Du willst dich als Transvestit transzendieren.

(lacht): Ja, so kann man das sagen!

Du hast gesagt, daß du nicht schwul bist, weil du keine Männer begehrst. Aber du sympathisierst mit den Schwulen, nicht? Und kommen nicht auch Schwule und sagen: Wann bist du soweit, warum versteckst du es immer noch?

Ja, das ist schon passiert. Aber in Wirklichkeit fühle ich mich auf fantastische Weise zu Frauen hingezogen. Es sind immer Frauen, nackte Frauen, angezogene Frauen aller Art, junge Frauen, starke Frauen, die mich antörnen. Vielleicht bin ich latent homosexuell.

In welchem Sinne latent?

Daß ich davon auch was habe, in mir. Aber letztlich sind es eben nicht Männer, die mich antörnen. Eine der Theorien des Transvestitentums sagt, es sei ein Fetischismus. Eine Überidentifikation mit dem begehrten Objekt. Das ist nur eine Theorie. Aber es stimmt schon. Ich verehre Frauen so sehr, daß ich ihre Sachen tragen will. Aber es gibt da noch etwas. Wenn ich mich zurechtmache, fühle ich mich stärker. Eine meiner Kolleginnen sagt: Du siehst als Mann gut aus. Aus purer Eitelkeit mußt du ausprobieren, ob du als Frau auch noch gut aussiehst. Was im Spaß gesagt ist.

Gab es in Berlin prägnante Reaktionen, wenn du ausgegangen bist?

Ich war bei „Hommage an Berlin“, bei der Berliner Commerzbank. Holländische und belgische Künstler. Ich war mit ein paar deutschen Freunden zusammen. Und da waren ein paar ganz schnieke angezogene Leute. Ich habe gemerkt, wie sie mich ansahen. Dann kam schließlich einer von denen rüber und fing an, mit einem meiner Freunde zu reden. Ich konnte ja nicht verstehen, was sie sprachen. Dann ging er wieder weg. Und der Freund sagte: Er ist nur rübergekommen, um mal aus der Nähe gucken zu können. Er hat mich gefragt, wer die Frau mit den Männerarmen wäre.

Bist du in der Berliner Kunstszene auf irgendwas gestoßen, dem du dich nahefühlst?

Es ist die wohlhabendste Kunstszene, die ich jemals kennengelernt habe. Aber da ist genauso eine Mauer drumherum wie bei der Londoner Kunstszene, wenn man reinkommen will. Die großen Ausstellungen „Zeitlos“, „Zeitvergleich“ finde ich wirklich toll. Die ständigen Sammlungen auch. Aber die privaten Galerien interessieren sich nicht wirklich für Kunst, ob es gut oder schlecht ist. Die fragen sich nur, ob sie es verschieben können oder nicht. Was mich überrascht hat, ist die allgegenwärtige abstrakte Kunst: dekorative abstrakte Kunst. Vielleicht war ich da zur falschen Zeit hier, aber ich hätte gern einige deutsche Maler gesehen, die ich bewundere: Kiefer, Baselitz... ich glaube, einen Immendorf habe ich gesehen. Die Galerien sind jetzt stark an Amerika orientiert.

Ich will nun mal ein figürlicher Maler sein. Ich halte mich schon für ganz und gar zeitgenössisch. Aber die coole, zurückgelehnte, esoterische, gedachte Kunst erwischt mich einfach nicht.

Also keine Spuren figürlicher Kunst in der ganzen Stadt?

Nein, gar nicht. Ja, doch, die Maler der DDR im „Zeitvergleich“ und bei Brusberg. Und natürlich Ken Currie aus Glasgow, in der Raab Galerie. Wenn ich etwas Figürliches gesehen habe, dann sehr Unverbindliches. Keine realistische Tradition. Vielleicht war ich zur falschen Zeit hier, wo sich Berlin als „Kulturhauptstadt“ auf die große internationale Kunst gestürzt hat.

Kommst du wieder?

Ich würde gern im nächsten Jahr wieder hier sein. Es kommt darauf an, ob ich Unterstützung finde, Förderung, oder eine Gastwohnung, wie dieses Mal.

Das Gespräche führte und übersetzte U.E.Ziegler