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Schleichende Ausgrenzung

■ „Aus Nachbarn wurden Juden“ heißt eine Ausstellung, die zum 50.Jahrestag der Novemberpogrome 1938 zusammengestellt wurde

Anläßlich des 50. Jahrestages der Novemberpogrome 1938 hat das Aktive Museum in Zusammenarbeit mit dem Mehringhof, der Jüdischen Gruppe Berlin, Netzwerk, AL, dem Transit-Verlag und dem Bündnis gegen Rassismus, Faschismus und Sexismus jetzt eine Ausstellung zusammengetragen, die zeigt, was bislang selten zu sehen war: Bilder der alltäglichen Diskriminierung. Unter dem Titel „Aus Nachbarn wurden Juden“ wird dokumentiert, wie sich zum Teil schleichend, aber auch offenkundig der unglaubliche Prozeß der Selektion und des Hasses gegen jüdische Bürger in der Bevölkerung ausgebreitet hat.

Das Material der Ausstellung stammt mit zweihundert Bildern überwiegend aus dem Nachlaß des jüdischen Fotografen Abraham Pisarek, der seit den zwanziger Jahren in Berlin arbeitete und nur mit viel Glück den NS-Terror überlebte. Seine Fotos dokumentieren von 1933 bis 1941 - ab diesem Zeitpunkt traf auch ihn das Berufsverbot - das zunehmend vom „deutschen Alltag“ abgegrenzte jüdische Leben. Menschen auf der Straße, in Schulen, Hilfseinrichtungen wie der Wohlfahrtspflege, Krankenhäusern, bei Kultur- und Sportveranstaltungen oder aber in Selbsthilfeeinrichtungen für Auswanderer. Die einfühlsamen Porträts von Kindern und Erwachsenen halten tragische Schicksale fest, denn die meisten der Abgebildeten wurden deportiert und ermordet.

Bereichert wird das Material auch durch bislang wenig bekannte Verordnungen und Erlasse, die die Ghettoisierung der Juden veranschaulichen. So erließ z.B. die Stadtverwaltung Berlin am 18.März 1933, bereits vor dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, die Anordnung: „Jüdische Anwälte und Notare dürfen in Zukunft nicht in Rechtsangelegenheiten der Stadt Berlin tätig sein.“ Im April wurden dann jüdische Richter und Schulärzte entlassen, sämtliche Bezirksämter durften keine „dem Blut nach jüdischen Lehrkräfte“ mehr einstellen. Vereine wie der Nationalsozialistische Ärztebund, der Deutsche Apothekerverein, der Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, machten sich die „arischen Richtlinien“ zueigen, ohne gesetzliche Verpflichtung.

Neben Einkaufsbeschränkungen gab es sogar Verbote, Telefonzellen zu benutzen und bestimmte Parkanlagen sowie Badeanstalten zu besuchen - alles geduldet und unterstützt von der Berliner Bevölkerung. „Ich halte es nicht für richtig, daß heute unsere öffentlichen Einrichtungen, die großen Freibäder oder meinetwegen die Badewiese in Gatow (...) zu Tummelwiesen dieser Juden gemacht werden, die nun bunt durcheinander mit unseren Deutschen dort liegen“, heißt es zum Beispiel in einer Rede des Berliner Ratsherrn Körner von 1937. Und dies ist nur eines von zahlreichen Dokumenten, mit der die faule Ausrede „Wir haben von all dem nichts gewußt“, die die deutschen Bürger nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs so gerne benutzten, um sich ihrer Verantwortung zu entziehen, widerlegt wird.

Die Ausstellung wird vom 3.November bis Anfang Dezember im Mehringhof an der Gneisenaustraße2 zu sehen sein, die Öffnungszeiten liegen zwischen zehn und 18 Uhr.

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Reiner Gutte (Aktives Museum), PGiro Bln West, 47 38 12-106, BLZ 100 100 10.

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