Rotieren, bis keiner mehr da ist

■ Obwohl die AL zuwenig Kandidaten für die Bezirksparlamente hat, besteht die Parteiführung auf dem Rotationsprinzip / Dadurch droht in einigen Bezirksverordnetenversammlungen das „Aus“ durch Personalmangel / Anlaß ist offenbar die Aufstellung mißliebiger Kandidaten

Daß die Alternative Liste bereits seit langem die Satzung in Sachen Rotation umgeht, ist altbekannt. Fast in allen Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) sitzen Abgeordnete länger als zwei Jahre. Jetzt aber schwingt sich der Geschäftsführende Ausschuß (GA) zum Statthalter der reinen Lehre auf und schickt Kreuzberg einen Mahnbrief. Der östlichste Bezirk nämlich hat Charlotte Oberberg und Volker Härtig auf aussichtsreiche Listenplätze gesetzt. Beide sind schon seit knapp vier Jahren im Amt.

In dem Brief des GA heißt es, er sei der einmütigen Meinung, daß eine Kandidatur ausgeschlossen sei, wenn vorher bereits vier Jahre ein Mandat für die BVV oder das Abgeordnetenhaus bestanden habe. Das sei auch dann der Fall, wenn an den vier Jahren ein paar Wochen fehlten. Ein Seitenhieb auf den Verfahrenstrick, die Kandidaten drei Monate vor der Wahl ausscheiden zu lassen, um die vier Jahre nicht voll zu haben, den sich die Kreuzberger ausgedacht hatten. Schulmeisterlich „bittet“ der GA die Kreuzberger, die Liste zu „korrigieren“. Die Kreuzberger haben jetzt den Schiedsausschuß der Partei angerufen.

Doch Kreuzberg ist kein Einzelfall. In einigen BVV saßen Leute schon vier Jahre, als noch die Zwei-Jahres-Rotation in der Satzung stand. Auf ausdrücklichen Wunsch und Aufforderung der jeweiligen Bezirke wohlgemerkt. Das Problem das dahinter steht: KandidatInnenmangel. Als die letzte Mitgliedervollversammlung der Partei versuchte, ausnahmsweise mal das Realitätsprinzip walten zu lassen und die Satzung den Gegebenheiten anzupassen, siegte das hehre Prinzip: Nach vier Jahre muß Schluß sein. Auch für diejenigen, die nach der BVV fürs Abgeordnetenhaus kandidieren. Die Zweidrittel-Mehrheit, die für diese Satzungsänderung nötig gewesen wäre, wurde knapp verfehlt. Jetzt ist es eine „Strafe“ für diejenigen, die sich vor zwei Jahren von ihrer Bezirksgruppe haben breit schlagen lassen und nicht rausrotiert sind. Sie können jetzt nach Lage der Satzung weder fürs Abgeordnetenhaus kandidieren, noch weiter in der BVV bleiben.

Es ist kein Geheimnis, daß einzelne Bezirke Schwierigkeiten haben, genügend neue Leute für die Bezirksverordnetenversammlungen zu finden. In Tempelhof beispielsweise sind auf Platz zwei und Platz fünf Leute, die schon seit drei bzw. vier Jahren in der Tempelhofer BVV sitzen. Ihre Kandidatur ist nach Auffassung des GA nicht satzungsgemäß und müßte abgelehnt werden. Inzwischen hat den GA schon ein weiterer Protestbrief erreicht.

Andere Bezirke haben Schwierigkeiten überhaupt KandidatInnen in ausreichender Zahl zu finden. In Steglitz liegt erst eine Zusage vor, in Tiergarten will man gar 24 KandidatInnen finden, weil die Zwei-Jahres-Rotation eingehalten werden soll. Bislang interessiert sich noch niemand verbindlich. Ähnlich stellt sich die Situation in Schöneberg: „noch keine KandidatInnen“.

Durch die Rüge des GA an Kreuzberg ist das Stillschweigen über den seit Jahren praktizierten, nicht satzungsgemäßen Zustand gebrochen. Heute wird die Mitgliedervollversammlung noch einmal die Chance bekommen, realitätstüchtig zu entscheiden.

Brigitte Fehrle