Es feministelt allüberall...

■ Die schönsten, die schillernsten Federn hat die Frauenbewegung gelassen. Ein Schuß Feminismus gehört längst überall dazu. Selbst die Frauenlisten der Hamburger Grünen ist Alltag im Politgeschäft. Gesucht wird! die Neue Anstößigkeit.

Adrienne Goehler

Adrienne Goehler ist eine der Initiatorinnen der Frauenliste der Hamburger GAL und heute Abgeodnete in der Hamburger Bürgerschaft (d.Red.).

Ein subjektiver Blick auf Freiburg in den frühmittleren Siebzigern: Selbstuntersuchungen, Spekulum, Petersilie in die Möse und linksgedrehten Joghurt. Ohs und Ahs beim Anblick unterschiedlicher Färbungen so unterschiedlicher Schleimhäute. Gesenkter Blick, weggetaucht unter den strengen Augen fortgeschrittener Feministinnen, wenn ich zwischen zwei Plena des Frauenzentrums wieder mit einem Kerl geschlafen hatte. Fortgeschritten war, 1972, wer auf dem Frauenkongreß in Frankfurt dabei war, wer so mal eben die Beauvoir zitieren konnte und natürlich (!) wer über den „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ Bescheid wußte.

Herzklopfen, Neugierde, Aufregung und Angst vor der Überschreitung eigener Tabus. Atemlosigkeit beim ersten §218 -Tribunal. Erbitterte Duelle mit Medizinstudenten über die befreiende Wirkung der Pille; welch diebische Freude, wenn das Duell mit der Sprachlosigkeit der Männer endete, auf die nüchterne Frage hin: „Und du mein Lieber, wie verhütest du privat? Oder läßt du etwa verhüten??“

Diese Fragen machten uns mächtig damals, weil unangreifbar. Wir hatten uns kollektiv die Legitimation gegeben, jegliches Schwadronieren über „die Verhältnisse“ auf das unanständige Konkrete zu beziehen - im Privaten hatten wir eben Platzvorteil - und gleichzeitig stärkte uns die neugewonnene Erkenntnis „unser konkretes Leiden“ auf „die Verhältnisse“ zurückzuführen. Was war es eine unbändige Lust am Spiel mit der Verunsicherung der linken Kleinfürsten, die sich in Männergruppen erprobten und sich doch so schnell am eigenen Geschlecht langweilten. Vorboten unserer Macht! Die Geschichte jedoch relativierte die Meinungsführer innerhalb der linken Zirkel, nicht unsere Power.

Besoffen und erschöpft waren wir vom Denken in alle Richtungen und gegen alles zugleich. Und keine Tradition weit und breit, auf die wir uns so ohne weiteres beziehen konnten. Da war archäologische Arbeit gefragt. Die Zetkin war zu bürgerlich, die Luxemburg zu wenig frauenbewußt, Augspurg war für uns 'ne Stadt in Bayern. Die Hexenforschung und die lila Tücher klebten mir zu sehr am Katholisch -Antikatholischen. Zu mystisch, zu wenig meinem (damaligen) wissenschaftlichen Über-Ich genügend. Die unzähligen „Häutungen“ der Scham, die ja jetzt vorbei sein sollte, schienen mir eher unzulänglich um der Männerherrschaft beizukommen.

Und natürlich war auch ich enttäuscht, daß sich weder die Bäuerin in Wyhl, noch die Verkäuferin bei Hertie beeilte, ins Frauenzentrum zu kommen. Meine frauenspezifische Erfahrung im Kaiserstuhl erschöpfte sich darin, daß mir eine Bäuerin bei der Bauplatzbesetzung ein kreuzbesticktes Sofakissen unter den Hintern schob, „wegen dem Wolf am Popo!“ Auftriebe, Abbrüche

...besoffen und erschöpft zugleich ... dennoch und deswegen landete ich wieder bei Studentengruppen, gemischt und „ordentlich“ bei der Aneignung von Trotzki/Lenin und der Sex -Pol-Bewegung. Die Männergeschichte des Leninismus hatte so beruhigend wenig mit mir und meinem unsicheren Stand in der Gegenwart zu tun. Rückblickend kommt es mir so vor, als habe mein Aufgewühltsein durch unsere Fragen, die Abgründe, die sich aus der spürbaren Allgegenwart des Patriarchats auftaten, mich in die psychische Überschaubarkeit jener Traditionsgruppen flüchten lassen. Dort konnte ich in Ruhe männliche Ordnung chaotisieren, statt an der Ordnung des weiblichen Chaos zu verzweifeln.

Dann Reise nach Westafrika, im Solidaritätsgepäck: Marxismus, Feminismus, Psychoanalyse. Damit wollte ich das Elend der Afrikanerinnen ergründen, mit ihnen gegen die Polygamie streiten und für das Recht auf den gleichberechtigten Platz am Tisch neben dem Mann. Emanzipation? Klar! Aber doch bitte nicht um den Preis der Aufgabe oder Einschränkung ihrer männerfreien Räume!! Hmh. Aber daß die Männerreligion des Islam sie ins Haus weist, brachte sie das wenigstens auf die Barrikaden? Na, das fehlte noch, wenn es die Geschlechtertrennung nicht gäbe, wären die Männer ja noch häufiger im Haus! Mit Gelächter über derart krause - weiße - Vorstellungen von der Befreiung ließen sie mich stehen. An ihrer bewußtgelebten Frauenclanrealität zerschellte meine letzte frauenbewegte und marxismusgeschulte Klarheit. Punkt. Bruchpunkt. Zurück auf Los. Auf nach Hamburg.

Es folgt eine lange Phase feministischer Latenz und Gruppenskepsis, die ich mit in die Gründung der Grünen hinüberrettete, deren Frauenpolitik ich so betulich wie herrschsüchtig fand; als eine Art politischer Trevirafaltenrock: zeitlos und klassisch. Auf alle Fälle war grüne Politik dem klassischen Nebenwiderspruchsdenken verhaftet. Diesmal mit der ökologischen Fünfvorzwölf -Begründung, war die Thematisierung der Geschlechterfrage grad mal wieder nicht dran. Die einzig erwähnenswerte Tat blieb für lange Zeit die Verankerung der 50-Prozent -Quotierung in der Satzung. Haarsträubend dagegen die Debatten um die Abschaffung des §218. Hier spätestens wäre die Wiederholung des Tomatenwurfs angebracht gewesen, mindestens aber so wenig wie sich diese Tradition damals in Südbaden verankern ließ (Dort sind Tomaten zum Essen da. Pasta. Basta.), so wenig wurde die Tomate zum Aktionsmittel grüner Feministinnen.

Spannend wurde die Debatte bei Grünens erst wieder mit der Diskussion um das Antidiskriminierungsgesetz. Da macht sich Erschrecken breit. Bei Männern und auch bei Frauen, daß wir's wirklich ernst meinten. Mit unserem umfassenden Anspruch auf sämtliche Männerterrains, nicht länger nur anklagen, sondern die Männer auf das längst überfällige Maß von 50 Prozent an allem zurückstutzen wollten. Gleichzeitig machte sich aber unübersehbar Müdigkeit an den männergerechten Strukturen der Grünen bei all den Frauen breit, die so euphorisch an der Gründung dieser Partei beteiligt waren. Wieder holte uns ein, daß wir strukturell so wenig dem Vor-sich-Hinmännern der parteipolitischen Realität entgegenzusetzen hatten, außer einem deutlich artikulierten Unbehagen. Zurück in die

autonome Bewegung?

Nahe lag schon, die drohende Verparlamentarisierung der Partei zu konstatieren und deren Bewegungsunfähigkeit nicht nur in der Geschlechterfrage, zum Anlaß für einen organisierten donnernden Frauenausstieg zu nehmen. Aber unterscheidet sich die reale Autonomie von Frauen außerhalb der Grünen, nicht in erster Linie durch den Anspruch auf eigene Parteienferne, als durch wirkliche Unabhängigkeit von den Parteien?

Müssen nicht all die Frauenprojekte, in die sich die Bewegung ausdifferenziert hat, Frauenhäuser, -bildungszentren, -archive, -wochen, -therapieeinrichtungen, -kultur- und -medienzentren. Einrichtungen zur Existenzgündung von Frauen..., müssen all diese Frauen nicht unendlich viele Energien in die Gunst der Herrschenden Parteien verwenden, um ihr Überleben recht und schlecht, Jahr für Jahr, zu sichern? Auf ABM-Basis und ohne die Anerkennung, verdammt nochmal, gesellschaftlich notwendige Arbeit zu leisten? Wo wir hinsehen, wir verplempern Energien.

Diese Perspektive der Autonomie hatte also auch nicht allzu Verlockendes an sich, und außerdem: Ein Terrain, was wir als Frauen miterschlossen hatten, erneut den Männern überlassen? Als „Opfer“ zurückbleiben oder in der „Mittäterschaft“ überwintern? Nein, dann schon lieber zur kollektiven Tat schreiten, der Unzulänglichkeit der 50-Prozent-Quote mit 100Prozent Frauenpräsenz entgegentreten, am öffentlichsten Platz bei den Grünen: dem Parlament. Allgemeine

Bestandsaufnahme

Den ganzen Packen an Erfahrungen aus Frauen- und K -Gruppenzeiten mit denen aus der jüngeren Anti-AKW- und Friedensbewegung zusammenschmeißen, die Fülle potenter und inkompetenter Frauen nuzten, der Männereinfalt in einem ihrer Heiligtümer die Vielfalt weiblicher Alltagserfahrung und Theoriebildung entgegenschleudern, das war einfach mal dran. Als adäquate Antwort auf die sozialdemokratische Gleichstellung zur Eindämmung der Frau. Mit „Wildwuchs statt Bonsai“ die Reideologisierung der Frauenrolle und gleichzeitig die Domestizierung des Feminismus zu be- und verhindern, war und ist ein nicht eben bescheidenes Vorhaben.

Um die Machtfrage bei den Hamburger Grünen überhaupt stellen zu können, mußten erstmal drei Dutzend Frauen her. Die Suche der Frechen Frauen (die Initiatorinnen des Projekts Frauenliste) nach Mitstreiterinnen gestaltete sich äuerst schwierig. Alle fanden die Idee „wirklich ganz prima“, keine wollte Subjekt des Experiments werden. Da fragten wir öffentlich und provokativ, ob den Frauen vielleicht die Ohnmacht in der Hand doch lieber wäre, als die Macht auf dem Dach? 800 entrüstete Frauen wiesen diese Mutmaßung weit von sich und forderten uns auf, gefälligst nicht zu kneifen. Rund zwei Dutzend unter ihnen wollten das Experiment von Außen, durch einen Weiberrat stützen. Also wurde weitergesponnen an der Idee Frauenliste, und unserer Lust uns auf der Tribüne auszuprobieren.

Das Patriarchat in all seinen Erscheinungsformen - auch in unseren eigenen Köpfen - hätte nicht die Zählebigkeit die es hat, und alle feministischen Analysen würden wenig taugen, wenn wir auf all diese Fragen inzwischen zufriedenstellende Antworten gefunden hätten, wenn wir auf unserem Höhenflug keine Niederlagen hätten einstecken müssen. Bereits auf der ersten grünen Mitgliederversammlung stießen die frechen Frauen schmerzvoll an ihre Grenzen: Lähmung durch den

kleinsten Nenner

Abgelehnt war das Konzept der Frechen Frauen, zum Maßstab unseres Handelns durchgängig das Subjekt Frau zu nehmen. Abgelehnt waren solche Thesen wie „Frauen verfügen eher über eine kommunikative denn eine abstrakte Kompetenz“ (Senta Trömel-Plötz) oder „denken eher unterscheidend statt analysierend, folgerichtig statt logisch, an der Sache orientiert, statt Objektivität vorgebend, zyklisch statt linear“ (Erika Wisselinck).

Abgelehnt war auch die von uns postulierte Notwendigkeit eines Kollektivs, getragen von Frauen, die miteinander wollen und können.

Heraus kam ein Sammelsurium von Frauen: Skeptikerinnen gegenüber dem Projekt, Frauen, die auch auf einer gemischten Liste kandidiert hätten, zögernde und Wildentschlossene in Sachen Frauenliste. Als gemeinsame Basis hatten wir lediglich das GAL-Programm, die erhoffte Außenwirkung und das Geschlecht.

Und dennoch machen wir eine andere Politik, die sich wesentlich von der anderer Fraktionen unterscheidet. Wie und wodurch und ob genug, wird in einer ersten Bilanz zu beurteilen sein, die wir anläßlich der Rotation von acht Nachrückerinnen für weitere zwei Jahre Frauenfraktion ziehen werden. Eins steht nun unumstößlich fest: Die erhoffte Signalwirkung auf die anderen Parteien ist eingetreten und mit ihr gemischte Gefühle. So wie heute keine mittelmäßige Frauenzeitschrift mehr ohne einen Schuß Feminismus auskommt, so feministelt es in den etablierten Institutionen.

Die Frauenbewegung und die Grünen, die als erste Partei auch deren Früchte erntete, haben dies notwendig gemacht. Aber auf unserem Gang von einer marginalisierten Erscheinung zum Faktor, an dem nichts mehr vorbei geht, haben wir Federn gelassen. Die buntesten und schrillsten.

Zornig gewurmt schau ich mir an, wie sich die anderen Parteien Bruchstücke unsere aus Erfahrung gewonnene Erkenntnis aneignen; entzahnen, pervertieren, ins Gegenteil verkehren. Als VerbraucherInnen der „Frauenfrage“, getrennt von der Produktion, wildern sie hemmungs- und kostenlos in feministischen Projektgärten.

Wir haben eine christdemokratische Antwort nötig gemacht, und wir haben jetzt die Quittung dafür: In dem Maße wie wir mit unserer feministischen Theorie in die Breite gegangen sind, verbal bis hin zu Rita Süssmuth, haben wir an Höhe und Tiefe verloren.

Mir steht der Sinn nach neuen, schillernden Federn, nach Höhe und Tiefe, nach neuer Anstößigkeit. Eine könnte sein, daß wir den Institutionsmännern Männerstatute, -förderpläne und -programmteile abverlangen. Sie müssen formulieren, wie sie sich die Integration ihrer Reproduktionsarbeit in ihre Erwerbstätigkeit vorstellen, wie sie der Gewalt gegen Frauen entgegentreten, wie sie ihre Defizite an sozialer Kompetenz zu beheben gedenken, was Männer mit Männern anzufangen wissen, wenn wir die Instandsetzungsarbeiten an ihnen aufkündigen, was das Dahinschwinden der Gleichsetzung Mann-Norm für sie bedeutet. Kurz - wie sie dem Macht- und Bedeutungsverlust ihres Geschlechts begegnen, durch Zugewinn an was?

„Erwarten Sie nicht, Madame, mich in Bezug auf dieses Thema einsichtig zu finden. Wenn Verteterinnen Ihres Geschlechts beginnen, folgerichtige und tiefe Werke hervorzubringen, was soll dann aus uns heute so oberflächlichen und leichten Männern werden? Das wäre das Adieu an die Überlegenheit, auf die wir so stolz sind. Und die Frauen würden uns dann vorschreiben, was wir zu tun haben... Diese Revolution wäre gefährlich.„

Soweit die männliche Entgegnung auf Olympe de Gouges, circa 1791.

So wie Frauenlisten derzeit noch an die Existenz der Grünen gebunden sind, so werden die ersten Manifestierungen männlicher Utopien auch von grünen Männern kommen müssen. Wenn ihr versteht was ich meine!