Eine Welle von Anti-Amerikanismus

Was demonstrierende Studenten nicht schafften, gelang einer Fernsehanstalt und zwei dämlichen Schwimmern: Südkorea kann seine Schutzmacht nicht mehr leiden  ■  Aus Seoul Jürgen Kremb

„Vorsichtshalber“, stand in der Mitteilung der amerikanischen Fernsehgesellschaft NBC an ihre Sportreporter in Seoul zu lesen, „empfehlen wir unseren Mitarbeitern, in der Öffentlichkeit nicht mehr das Firmenemblem zu tragen.“ Der Medienriese, der die Senderechte der 24.Olympischen Spiele in Südkorea für mehr als 300 Millionen US-Dollar gekauft hat, versteht die Welt nicht mehr. Seit einer Woche sind nicht mehr die „boys aus America“ als „good guys“ die geachtete Schutzmacht im Land der Morgenstille. Vielmehr jubelt Südkorea, wenn schon nicht sich selbst, dann vorzugsweise den SportlerInnen aus der Sowjetunion zu. „Eine Welle von Anti-Amerikanismus überrollt das Land, durchzieht alle Schichten“, freut sich selbst der radikale Pfarrer Kim Dong-Wan, „die selbst unsere demonstrierenden Studenten nach jahrelangen Protesten nicht auslösen konnten.“

Anlaß, daß die Amerikaner in ihrem schutzbefohlenen Land jetzt Angst haben, auf der Straße Prügel zu kriegen, war, wie konnte es anders sein, eine Prügelei - aber eine olympische. Als am 22.September in jenem skandalösen Boxkampf der koreanische Bantamgewichtler Byun Jong-Il gegen den Bulgaren Alexandar Christov in den Ring stieg, meinten jedenfalls die koreanischen Zeitungen am nächsten Morgen, „hatte er einen weiteren Gegner, nämlich Ringrichter Keith Walker aus Neuseeland“. „Hau ihn“ war die Devise, und es stiegen 22 Teammitglieder, Trainer, Masseure und auch Zuschauer in den Ring und gaben dem Kiwi Saures.

Das koreanische Fernsehen handelte schnell und ging in die Totale, so daß auf dem Bildschirm nur ganz da unten in der Arena ein paar dicke Männer ineinander herumkraulten. Doch NBC schien sichtlich beeindruckt vom südkoreanischen Wildwest-Gehabe. Sie zoomten voll rein und „inszenierten damit“, wie sich am nächsten Tag ein Sprecher der regierenden Gerechtigkeitspartei von Ex-General Roh zu Wort meldete, „eine Serie von einseitigen, unausgewogenen Berichten über das Gastland der Olympischen Spiele“.

Das Drehbuch für die folgende olympische Seifenoper schien geradezu aus dem Schatzkästlein politischer Propagandisten zu stammen. Selten zuvor war sich Südkorea so einig, wenn auch nur in der Rache gegen NBC und die USA. Als am folgenden Tag drei Mittelschüler im Olympiastadion mit einem Papp-Plakat „We hate NBC“ aufstanden, wurden sie in den Lokalzeitungen fast wie Freiheitshelden gefeiert. Da konnten sich auch die radikalen Studenten von der Yonsei-Universität nicht länger zurückhalten. „Wir kritisieren aufs Schärfste die amerikanische Art des Journalismus“, fand das Studentenkomitee, das sich im vergangenen Jahr besonders durch seinen Kampf gegen die Militärdiktatur ausgezeichnet hatte. „Diese einseitige Berichterstattung kommt nur aus einer Einstellung, die auf uns herabschaut.“ Jugendliche gingen sogar mit Molotow-Cocktails auf eine amerikanische Militärbasis los.

Auch die Regierung kam nicht umhin, mal ein Auge zuzudrücken. Als im Einkaufsviertel Myong-Dong jetzt eine kleine Gruppe von Filmregisseuren das Friedenszonen-Abkommen brach, das für die Zeit der Olympiade Demonstrationen verbietet, drückte selbst die berüchtigte Polizei von Seoul ein Auge zu. Denn die Demo der Filmleute richtete sich gegen den Import von Kommerzstreifen „Made in USA“.

Nur noch zwei Themen schien es in dieser Woche zu geben: olympisches Gold für „Uri Nara“, unser Land, und Rache an den „arrroganten Amerikanern“, wie die Zeitungen genüßlich schreiben. Wie schön, daß man sich in solch einer Situation darauf verlassen kann, daß irgendein Vertreter der Supermacht in ein weiteres Fettnäpfchen trampelt. Die kamen dann auch prompt in Gestalt zweier hünenhafter US-Gold -Schwimmer aus der 4x400-Meter-Staffel dahergewatschelt. Im Anschluß an ihre Siegesfeier hatten Troy Dalbey und Doug Gjertsen in einem Nobelhotel von Seoul leicht angetrunken eine Statue - sicherlich potthäßlich, aber immerhin 800 US -Dollar wert - abgeschraubt und in eine andere Kneipe getragen. Als amerikanische Reporter es wagten, über das Art -Deco-Schmuckstück (vermutlich zweiter Woolworth) „als Betonklotz“ zu berichten, brachen auch die letzten Dämme in den koreanischen Medien. Fluten von Leserbriefen und Telefonanrufen ergossen sich über die Zeitungsredaktionen des Landes, in denen eine ernste Bestrafung der „verwöhnten US-Sportler“ und kriminellen Statuendiebe gefordert wurde. Zu guter Letzt und nach ausgiebigen Vernehmungen verzichteten die Behörden gestern jedoch auf eine Anklage.

Das US-Team entschuldigte sich für den Dummejungenstreich, doch 48 NBC-Angestellte gossen nur einen Tag später schon wieder neues Öl in den amerikanisch-koreanischen Steppenbrand. Ein Geschäftsmann aus dem Vergnügungsviertel Iteawon offenbarte, sie hätten bei ihm anti-koreanische T -Shirts mit der Aufschrift „Chaos-Tour 88“ drucken lassen wollen. Darunter ist die südkoreanische Flagge zu sehen, in deren Zentrum sich statt des Yin-Yang-Zeichens jetzt zwei Boxer die Nase platthauen.