Gaseinsatz: US-Golfpolitik in der Zwickmühle

Repräsentantenhaus und Senat haben Sanktionen gegen Irak beschlossen / Einsatz von Chemiewaffen als gefährlicher Präzedenzfall bewertet / Völkermord an Kurden bleibt Nebensache / Reagan-Administration weiter an guten Beziehungen zum Irak interessiert  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

Der Beschluß des Kongresses in Washington, Wirtschaftssanktionen gegen den Irak zu verhängen, hat die Reagan-Administration in eine unangenehme Situation gebracht. Am vergangenen Dienstag hat das Repräsentantenhaus, knapp drei Wochen nach dem Senat, ökonomische Sanktionen beschlossen, weil der Irak durch den Einsatz chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung „das internationale Recht in grobem Maße verletzt“ habe.

Das Repräsentantenhaus beschloß mit 388 zu 16 Stimmen, den Export von Waffen, militärischer Ausrüstung und militärisch nutzbarem Gerät wie Lastwagen, Helikoptern und Computern sowie von chemischen Rohstoffen zu untersagen, wenn sie zur Giftgasproduktion verwendet werden könnten. Der Präsident könne weitere Sanktionen verhängen. Der Senat hatte am 9. September obendrein beschlossen, dem Regime in Bagdad keine Kredite mehr zu gewähren und kein irakisches Öl mehr einzuführen.

Die Reagan-Administration hat sich gegen beide Versionen des Gesetzes ausgesprochen und auf gegenwärtig laufende „Diskussionen“ mit der irakischen Regierung verwiesen, durch die Irak vom weiteren Einsatz chemischer Waffen abgehalten werden soll. Angesichts der breiten Mehrheit im Kongreß rechnet man aber nicht mit einem Veto Reagans. Ein solches Veto würde das Weiße Haus unglaubwürdig erscheinen lassen, denn das State Department hat Irak wegen des Giftgaseinsatzes verbal kritisiert; Reagan hat sich noch vor wenigen Tagen vor der UNO-Vollversammlung für einen weltweiten Bann chemischer Waffen ausgesprochen, und Präsidentschaftskandidat Bush räumt dem Verbot solcher Kampfmittel einen prominenten Platz in seinem Wahlkampfprogramm ein.

Gleichzeitig ist die Reagan-Administration aber weiterhin um gute Beziehungen zu Irak und den mit ihm verbündeten arabischen Staaten bemüht. Unter den Senatoren und Abgeordneten im Kongreß hat jedoch eine andere Überlegung Vorrang: Wenn ein arabisches Land Giftgas gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe einsetzt, ohne daß ein internationaler Aufschrei folgt, könnten die Gegner Israels in der Region falsche Schlußfolgerungen ziehen und bei einem militärischen Konflikt mit dem jüdischen Staat womöglich zu den gleichen Waffen greifen. Bereits nach dem irakischen Einsatz von Giftgas gegen die Bevölkerung von Halabdja habe im Kongreß der Unmut über Irak stark zugenommen, berichtet ein Mitarbeiter des „Middle East Research and Information Project“ in Washington.

Vera Saidpur, eine jüdische Menschenrechtsaktivistin aus New York, die nach eigenen Worten seit acht Jahren in den USA für die Rechte der Kurden eintritt, warnte in einem Telefongespräch davor, den Beschluß des Senats als Zeichen dafür zu deuten, daß die Politiker in Washington plötzlich ihr Herz für die Kurden entdeckt hätten. Es sei allein der Einsatz chemischer Waffen gewesen, der die Parlamentarier zur Aktion getrieben habe. Die Kurden hätten in Washington keinerlei Lobby, meinte sie, sie stünde mit ihrer Arbeit meist ziemlich allein.