„Embryo einer europäischen Verteidigung“

■ Deutsch-französische Brigade als Pilotprojekt für die europäische konventionelle Zusammenarbeit

An diesem Wochenende wird der Führungsstab der zukünftigen gemeinsamen Brigade diesseits und jenseits des Rheins in Böblingen bei Stuttgart Quartier beziehen. Ob es sich dabei lediglich um ein Symbol ohne militärische Relevanz oder ein Pilotprojekt einer zukünftigen europäischen Armee handelt, ist die Gretchenfrage an dieses von Kohl und Mitterrand betriebene Projekt. Die Friedensbewegungen beider Länder werden heute in Böblingen gegen das Europa der Militaristen antreten.

Vor zwei Wochen erst haben deutsche und französische Militäreinheiten im Rahmen des Nato-Manövers Reforger die Allianz im Kampf gegen den Feind aus dem Osten geprobt, seit heute ist die gemeinsame schnelle Brigade zwischen Bundeswehr und der französischen Armee Realität. In der Böblinger Wildermuth-Kaserne, gleich hinter Hertie, sind die Brigadiere seit heute stationiert.

Der Ort scheint mit Bedacht gewählt: am Rande der Stadt, und begrenzt von einem Bahndamm, einer Schnellstraße und der Bundesautobahn Stuttgart-Singen. Diesseits der Autobahn teilt man sich die Nachbarschaft mit weiteren Militärs. Böblingen Maintenance Facilities ist eine amerikanische Kaserne und ein riesiger Stellplatz für Panzer und anderes martialische Gerät.

Jenseits der Autobahn, doch gut sichtbar, das wohl produktivste und reichste Terrain dieser Republik: Süddeutschlands größte Niederlassung von IBM siedelt hier, kilometerweit erstrecken sich die Autohalden von Daimler -Sindelfingen entlang der Autobahn.

Scheußlichste Ecke

im Ländle

Quadratkilometerweit ist diese wohlhabendste und zugleich wohl scheußlichste Ecke des mittleren Neckarraums bei Nacht mit Flutlicht taghell erleuchtet. Der Lärm ist unbeschreiblich, Fußgänger gibt es hier auch tagsüber nicht, dafür ist jedes zweite Auto ein Daimler. Einen wertvolleren und zugleich häßlicheren Ort hätte man sich für die neugekürte deutsch-französische Waffenbrüderschaft nicht aussuchen können.

Heute soll Leben auf die Straße zwischen amerikanischer und zukünftiger deutsch-französischer Kaserne kommen. Die Friedensbewegungen Frankreichs und der Bundesrepublik, verkündet ein Plakat mit Picassos Friedenstäubchen, wolle sich heute um 14 Uhr anläßlich der Aufstellung der deutsch -französischen Brigade hier zur Kundgebung treffen. Unterstützt von den Grünen, Jusos, der DFU ebenso wie von dem Böblinger/Sindelfinger Friedensratschlag, dem Koordinationsausschuß der Friedensbewegung und zahlreichen anderen Gruppen von der Arbeiterwohlfahrt bis zur IG Metall, soll der Protest gegen die deutsch-französischen Brigaden, diese „Todfreundschaft“, öffentlichkeitswirksam artikuliert werden. Die Kundgebung und die anschließende Demonstration durch Böblingen erklärten die Gruppen der Friedensbewegung als diesjährigen Höhepunkt ihrer süddeutschen Herbstaktionen.

Proteste gegen

„Todesfreundschaft“

Zahlreiche Friedensfreunde werden zum ersten Mal auch aus Frankreich erwartet. Das „Mouvement de la Paix“ hat in mehreren französischen Städten und Departements für die Teilnahme an der Demonstration mobilisiert. Bürgermeister und Offizielle aus einigen französischen Städten und der Partnergemeinde von Böblingen haben ihre Teilnahme zugesagt. In einer Pressekonferenz hatte Ernest Edel vom Mouvement de la Paix auf fatale militärische Schulterschlüsse zwischen Deutschen und Franzosen wie bei der deutsch-französischen Kooperation „Charlemagne“ gegen die UDSSR hingewiesen.

„Das Gemeinsame muß friedlich sein“, unter diesem Motto soll nach der Auftakt-Kundgebung vor der Wildermuth-Kaserne mit „Pauken, Trompeten und anderen Musikinstrumenten“, den deutsch-französischen Brigadisten der Marsch geblasen und die Mauern der Verständnislosigkeit zum Einsturz gebracht werden. Den Stromanschluß für die Verstärkeranlage, so einer der Organisatoren, stellt freiwillig die Bundeswehr. Die latrinen am Böblinger Rathausplatz wollen die Stadtväter den Demonstranten allerdings vorenthalten. Eine anschließende Demonstration durch Böblingen soll auf dem Marktplatz nach einer zweistündigen weiteren Kundgebung und verschiedenen musikalischen Beiträgen beendet werden. Als Redner/innen werden neben Alfred Mechtersheimer und der französischen Publizistin Florence Herve auch ehemalige Widerstandskämpfer/innen und Gewerkschaftsvertreter/innen erwartet.

Bereits gestern Nachmittag hatten sich, zusammen mit ehemaligen Widerstandskämpferinnen, die „Frauen gegen Waffenbrüder“ zu einer Mahnwache vor dem Tor der Wildermuth -Kaserne eingefunden. Gestern abend hatte es ein Internationales Friedensfest in einem Sindelfinger Gymnasium gegeben.

Dietrich Willier