Mit Ohrring und Wurst zum Metall

■ Die bundesdeutschen Leichtathleten vermeiden doch noch die Totalblamage / Griffith-Joyner erstmals besiegt

Berlin (taz) - Ausgehüpft, vorbeigeschleudert, fertiggesprungen, zu Ende geworfen, schlußgelaufen: der letzte Leichtathletik-Tag in Seoul ließ die bis dahin arg gebeutelten Funktionäre des Deutschen Leichtathletik -Verbandes aufatmen. Dreimal noch gab es Metall, macht in der Schlußabrechnung stolze vier Medaillen. Das wurde flugs als Steigerung gegenüber der Weltmeisterschaft von Rom 1987 gefeiert - da war nur dreimal Treppchensteigen vergönnt gewesen. Was macht es da schon, daß erstmals seit 1956 kein(e) Bundesdeutsche(r) in der olympischen Paradedisziplin Gold abbekam - fürs nationale Gemüt bleiben ja haufenweise all die vielen Schießfechtreiter.

Dieter Baumann aus dem Schwäbischen rannte im 5.000-Meter -Lauf einfach drauflos wie einst der wundervolle Harald Norpoth in Tokio 1964, ließ eine Reihe von Weltklasseleuten wie Kunze, Mei und Ignatow hinter sich und holte Silber. Im Ziel wälzte er sich vor Erschöpfung so rührend über den Boden, daß sicher die Marketing-Innung einen werbeträchtigen Mann für die Zukunft entdeckt haben dürfte. Wenn er nur nicht diesen Ohrring mit über die Strecke hätte baumeln lassen. Überhaupt ein seltsamer Bursche: einerseits scheint er durchaus sympathisch, andererseits wird er als Bundeswehrsoldat vermeldet - und das trotz der langen, wuscheligen Haare.

Rolf Danneberg, der Olympiasieger 1984, warf mit dem Diskus so weit wie noch nie, daß die grauen Haare schier hinterher segeln wollten, und es reichte doch nur zu Bronze. Das hatte seine Gründe: Vor dem Wettkampf hatte sich Danneberg mit einer Wurst gedopt, die ihm der Medizinmann der DLV -Mannschaft überreicht hatte mit den Worten: „Damit du 67 Meter wirfst.“ Die 67,38 folgten wie gewünscht, und der Medizinmann sprach: „Hätte ich nur 68 Meter gesagt.“ So leichtfertig werden in der Bundesrepublik Olympiatitel verschenkt.

Bei den Staffeln schien schon alles gelaufen. Die Sprintmänner wurden schlappe sechste, die Frauen schrammten um eine Hundertstelsekunde an Bronze vorbei, obwohl die Sowjetrussin mit dem flinken Namen Pomoschtschnikowa gezerrt nur über die Ziellinie humpelte, und auch über 4x400 weiblicherseits gab es genau drei bessere Staffeln. Erst die 1.600-Meter-Läufer Lübke, Vaihinger, Dobeleit und der neue Hürden-Schmid namens Edgar Itt kämpften die DDR nieder und errangen vielumjubelt die bronzenen Medaillons. Lübkes stolze Erklärung: „Wir sind eine tolle Mannschaft.“

Freud und Leid auch anderswo. Die 4x400-Männer-Staffel der USA wollte neben dem selbstverständlichen Sieg auch den 20 Jahre alten Weltrekord von 2:56,16 Minuten endlich einmal auslöschen, und dann fehlte ihnen dazu haargenau eine Hundertstelsekunde. In der britischen Sprintstaffel rannte auch jener Linford Christie mit zu Silber, der eigentlich unter Doping-Bann stehen sollte. Das IOC entschuldigte sein Ephedrin-Vergehen jedoch, weil es nun doch vom Schnupfenmittelchen herrühren soll - Ginseng sagte Christie. Die kenianischen Läufer haben, so die Schlußbilanz von Seoul, auf den Strecken zwischen 800 und 5.000 Meter alles verfügbare Gold eingesackt und sind allein damit viertbeste Leichtathletik-Nation der Welt. Und Florence Griffith -Joyner, das rasende Pendant zu Ben Johnson (bei der man nur noch nicht weiß, wie sie das macht), mußte - nach dem neuerlichen Gold in der Sprintstaffel - über 4x400 als Schlußläuferin auch eine Niederlage einstecken. Als Trost bleibt ihr die ungeteilte Bewunderung, insbesondere die äußerliche, formuliert von den klugen bundesdeutschen Fernsehmännern. Bernd Heller hatte gerade sie im Auge, als er fachsimpelte: „Was da an Weiblichkeit in den Startblöcken sitzt, kann sich sehen lassen, und - laufen können sie auch.“ Nicht zu vergessen den Frontalangriff des Jörg Wontorra in einem Interview: „Frau Griffith-Joyner, äh, sie sehen ja wirklich gut aus, das muß ich Ihnen mal sagen jetzt, haha, hö.“

-müll