„Denn ohne Ausschuß bist du hier ein Arsch“

Der Ex-Grüne Thomas Wüppesahl, seit seinem Parteiausschluß als parlamentarischer Single im Bundestag unterwegs, streitet vor dem Bundesverfassungsgericht für mehr Rechte als fraktionsloses Individuum / Grüne Fraktion in Widersprüche verstrickt  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Thomas Wüppesahl, früher als „der grüne Bulle“ bekannt, streitet vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) für mehr Demokratie im bundesdeutschen Parlament. Ungewöhnliche Aktionen sind im bewegten politischen Leben des Schleswig -Holsteiners nichts Neues: Als er Barschels ehemaligen Medienreferenten Pfeiffer zum Landtags-Spitzenkandidaten küren wollte, wurde es der grünen Fraktion in Bonn zu bunt. Sie schloß ihn aus. Das war im Januar. Seither nennt sich Wüppesahl zwar gern „der einzige unabhängige Abgeordnete“, dennoch treibt ihn das triste Los des parlamentarischen Singles nun nach Karlsruhe.

Denn ihm fehlt nahezu alles, was - außer der Diät - dem Leben eines Abgeordneten Bedeutung verleiht, aber nach der Geschäftsordnung des Hohen Hauses nur über das Ränkespiel der Fraktionen vergeben wird: Zum Beispiel 7.000 Mark „Kopfgeld“ für den persönlichen Apparat. Vor allem aber fehlt ihm ein Ausschuß-Sitz. „Denn ohne Ausschuß bist Du hier ein Arsch“, weiß Wüppsahl. Für die Karlsruher Richter vornehmer ausgedrückt: Der Ex-Grüne fühlt sich außerstande, dem Grundgesetz gerecht zu werden und ein „Vertreter des ganzen Volkes“ zu sein.

Ein Vertreter des grünen Volkes sollte Wüppesahl eigentlich längst nicht mehr sein: Vergeblich forderte der Kieler Landesverband ihn auf, sein Mandat zurückzugeben. Doch Wüppesahl, kein Parteimitglied mehr und damit dem Zugriff grüner Gerichtsbarkeit entzogen, geht es um Höheres: In Karlsruhe will er nicht nur für sich, sondern für alle Abgeordneten mehr individuelle Rechte ertrotzen, auf daß „die Macht der Fraktionen gebrochen“ werde und sich einzelne Parlamentäre besser gegen „Demütigungen“ a la Flugbenzin -Skandal wehren könnten.

Ob Wüppesahls Verfassungsklage gegen die Bonner Geschäftsordnung wirklich am Mark des deutschen Parlaments nagt, bleibt abzuwarten. Die Mehrheit des Bundestags lehnte vorerst auch einen Übergangsvorschlag von BVG-Richter Mahrenholz ab, den Polizisten doch ohne Stimmrecht im Innenausschuß gastieren zu lassen. Wüppesahl, nicht kleinlich, will aber nicht nur volle Rechte in einem Ausschuß seiner Wahl - „Was soll ich als Bulle im Postausschuß?“, sondern auch im Ältestenrat des Hohen Hauses mit über Redezeiten beraten dürfen und - ein Privilieg der Spitzenfraktionäre - ein Telefon an seinem Platz im Wasserwerk.

„Der will wohl am liebsten auf den Präsidentenstuhl“, spotten manche bei den Grünen. Doch der Spott trug nicht weit, denn die Grüne Fraktion, selbst Beklagte vor dem BVG, turnte in der vergangenen Woche von einem Fettnapf zum anderen. Während Grüne im Rechtsausschuß manche Forderungen ihres Ehemaligen unterstützten, schickte der Fraktions -Justitiar den Karlsruher Richtern einen Schriftsatz, warum eben diese Forderungen abzulehnen seien. Als die „Blamage“ (Christa Nickels) erkannt war, traf man sich eilends zur abendlichen Notsitzung, um wenigstens noch die Marschroute für ein Statement im Plenarsaal festzulegen.

Während die Post nach Karlsruhe nicht mehr aus dem Kasten zu fischen war und ein anderer Rechtsgelehrter jetzt mit neuer Weisung die Paragraphen gegen den Strich bürsten soll, entdeckten manche Grüne erst den „demokratie-theoretischen Gehalt der Debatte“ (Imma Hillerich). Doch jenseits des bekannten Grundsatzstreits, ob ein imperatives Mandat oder mehr individuelle Rechte das Parlament „demokratisieren“ könnten - einige Grüne stößt die Wüppesahl-Klage mit der Nase nur tief in den eigenen Frust.

Wo die Kollektivität verloren gegangen ist, erscheint die Vision vom unabhängigen Abgeordneten nun im neuen Licht und Lichtjahre mag es her sein, daß solche Vorstellungen als „Illusionen in den Bürgerlichen Parlamentarismus“ abgetan wurden. Man stelle sich vor: Wenn endlich jeder grüne Abgeordnete seine eigenen schönen Gesetzentwürfe einbringen könnte und sie im freien parlamentarischen Diskurs verfechten würde - dann hätte das Leben in Bonn doch wieder einen Sinn.