„So oder so“

■ Gorbatschow und die Sozialistischen Staaten

Daß große Wandlungen sich „so oder so“ auf die Lage seiner Verbündeten auswirken würden, ließ Michail Gorbatschow schon am letzten Mittwoch gegenüber Erich Honecker durchblicken. Nun ist es „so“ gekommen. Die Reformgegner in den sozialistischen Ländern werden nicht mehr mit Schützenhilfe aus Moskau rechnen können. Denn ihre Gesinnungsgenossen sind erstmal weg vom Fenster. Es ist nicht schwer vorauszusagen, daß der Strudel der Ereignisse, das sich von nun ab beschleunigende Tempo der Perestroika auch in den anderen Ländern der „Sozialistischen Gemeinschaft“ Konsequenzen hat. Und das, obwohl die Reformer in Moskau bisher darauf bedacht waren, ihren Verbündeten mehr Spielraum zuzugestehen.

Von manchen wurde der auch genutzt. Die Reformdiskussion in Ungarn hat eine Atmosphäre geschaffen, die bis hin zu Massendemonstrationen die Diskussion gesellschaftlicher Konflikte zuläßt. Auch in Polen sind Breschen geschlagen worden. Ideen, die früher, wenn ausgesprochen, noch Gefängnishaft nach sich zogen, werden von den Herrschenden selbst für eine nicht näher definierte Zukunft in Aussicht gestellt und rühren am Machtmonopol der Partei. Und damit bewegt sich die politische Auseinandersetzung in diesen beiden Ländern weit über den Rahmen der Perestroika in der UdSSR hinaus.

Noch braucht Rumäniens Ceausescu keine Angst zu haben. Schiffkow in Bulgarien bleibt von Moskau beeinflußbar. Fraglich ist, wielange die Prager Führung noch die Schotten dicht halten kann. Doch alle Augen richten sich heute auf die DDR: „Der große Tag, der in die Zukunft weist“ ('Neues Deutschland' vom Donnerstag), könnte schneller kommen, als manche es für möglich halten.

Erich Rathfelder