drop-outs & null-bock-kids

■ Peter Greiners „Torffahrer“, in Ostfriesland angesiedelt, inspirierte das bildungsbürgerliche Premieren-Publikum zur Massenflucht angesichts nackter Popos

Peter Greiner, 38, gehört nicht gerade zu den vielgespielten Autoren auf deutschen Bühnen. Neun seiner bislang elf Stücke kamen zwar zur Aufführung, doch nach wie vor eilt ihm der eigenartige Ruf voraus, mehr gedruckt als gespielt zu werden. Weder Greiner-spezialisierte Ensembles noch RegisseurInnen verhalfen dem ehemaligen Lehrer zu mehr Popularität, so war es überwiegend Off-Theatern und freien Gruppen vorbehalten, Greiners Aufarbeitungen der Situation gesellschaftlicher Randgruppen zu inszenieren.

Auch Die Torffahrer, Greiners jüngstes Stück, spielt im Milieu der drop-outs und Null-Bock-Kids. Hein, Karen und Jan versuchen sich im Überleben in der kleinbürgerlichen Küstenregion Ostfrieslands. Hin-und hergerissen zwischen Lust und Frust, un

fähig die eigene Großkotzigkeit zu kanalisieren oder das Unvermögen in Konfliktsituationen zu erkennen, rotzen die drei sich an, vertragen sich, um im nächsten Moment wieder über einander herzufallen.

Hein und Karen sind ein Paar, unzweifelhaft. Doch Ihr Zusammensein besteht aus einer endlosen Reihe von rüden sprachlichen Nicht-Auseinandersetzungen und unmittelbarer körperlicher Gewalt. Wo Worte voneinander abprallen, wie Stahlkugeln bleibt nur die Faust im Gesicht. Hein, eigentlich Fahrer eines Torflastwagens, tätowiert, muskelbepackt und mit zusammengebundenen langen Haaren, ist nicht unbedingt ein fürsorglicher Freund. Seinen persönlichen Bedürfnissen folgend, geht er beständig den Weg des geringsten Widerstandes. Karen, ohnehin

gebeutelt, vom Onkel vergewaltigt und von Hein mißhandelt, entzieht sich ihrem Leiden durch Rauschmittel. Sie ist als Frau die schwächste in der sozialen Hierarchie und so muß sie es ertragen, geschunden zu werden, manchmal bis aufs Blut.

Jan (Frank Albrecht) kann da als Aushilfschauffeur nur Eingang in das Leben der beiden finden, indem er sich angleicht und eigene Wertmaßstäbe hintenanstellt. Verbale Injurien und gar das Sich Heranmachen an Karen sind Schritte auf diesem Wege. Seine Veränderung im Laufe der Handlung spricht eine deutliche Sprache.

Die Bremer Inszenierung unter der Regie von Brigitte Maier entschied sich bei den Torffahrern für eine laute, ja schrille Tonart. Das Bühnenbild des Gespanns Krämer/Schulz ist dann auch in orange gehalten, einer langen geschwungenen Kurve ins Bühnen-Unendliche gleich. Am linken Rand entschuppt Hansi Waldherr im friesischen Outfit neunzig Minuten lang Heringe aus emaillierten Eimern, während ihm gegenüber ein Matrazenlager und ein kunstlederner Sessel eine schmuddelige Wohnkultur markieren.

Frau Maier vermied ganz bewußt moderate Bilder, die womöglich Hoffnung suggerieren oder Auswege möglich machen. So stieß ihre durchaus freizügige Montage von Sex und Gewalt auf massive Ablehnung großer Teile des Premierenpublikums.

Nach bereits fünf Minuten ver

ließen die ersten Paare ob eines rundlichen weiblichen Hinterteils die Vorstellung, wenig später verfehlte ein langanhaltendes Kratzen und Schubbern im Schamhaarbereich des überzeugenden Franz-Joseph Dieken (Hein) nicht seine Wirkung. Als Franziska Ponitz (Karen) zudem blutüberströmt unter den Schlägen ihres Freundes zusammenbrach, gab es im Zuschauerraum kein Halten mehr. Eine wahre Massenflucht sorgte vor der Bühne für mindestens so viel Aufregung wie auf dem Podium.

So verständlich die verklemmte Reaktion des bildungsbürgerlichen Publikums sein mag, andere Kulturbeflissene hatten durchaus eigene Probleme mit Greiners Stoff. Zum einen ist die theatralische Umsetzung der spezifischen Null-Bock-Sprache nicht immer gelungen, zum anderen erscheint es zumindest wert zu fragen, ob nicht alternative Genres wie Punkmusik, Film oder Malerei besser geeignet sind, die ungeschliffenen Rohheiten einer solchen Sub-Sub-Kultur zu übertragen.

Dennoch, und dehalb explizit. Die Torffahrer decken eine unerreichbare Qualität von Theater auf. Realexistierende Personen auf der Bühne offenbarten schonungslos reale Gefühle, und diese Emotionen erreichten den Zuschauerraum ungebremst. Die unreflektierte Flucht der Verdrängungskünstler in Abendkleid und Krawatte wirkt da wie eine brutale Bestätigung.

Jürgen Francke