Rolling Home

■ Rollheimer Dorf: Oase am Potsdamer Platz

Sonnenblumen, ein roter Liegestuhl. Ein geräumiger Bauwagen, zwei kleinere daneben, ein paar Schritte weiter ein alter, weiß-blauer Mercedes-Bus. Hier leben Roland und Catrin, beide Ende 20, und ihre zwei Kinder. „Geh'n wir hinein“, sagt Katrin, „es wird kühl.“ Wir steigen die Holzstufen zum Wagen hinauf. Roland hat ihn vor drei Jahren gekauft und ausgebaut; isoliert, die Decke verkleidet. Auf dem Tisch brennen Kerzen. Eine kleine elektrische Lampe gibt es auch, der Strom kommt von einer Autobatterie, die über zwei auf dem Busdach montierte Solar-Paneele nachgeladen wird. Gekocht wird mit Gas. Und im Winter? Vorn an der Tür steht ein Kachelofen. „Den heizen wir mit Holzabfällen“, sagt Roland, „ihr könnt euch nicht vorstellen, wieviel es davon in unserer Wegwerfgesellschaft gibt.“

Andere tanken im Herbst ihre Busse oder LKWs auf und fahren in den Süden, nach Spanien oder Portugal. Dann wird es noch ruhiger auf dem Platz, einer kleinen grünen Oase in der verödeten Wüste des Potsdamer Platzes. Hier haben die Bus und Wohnwagenleute ihr Domizil. Sie nennen sich Rollheimer. Mit Urlaubs-Wohnmobilisten herkömmlicher Prägung wollen sie nicht verwechselt werden. Ihr Traum, den sie leben, ist das Leben auf Rädern in einer offenen Gesellschaft. Wolfgang ist Lehrer. Mit Frau und vierjährigem Sohn lebt er in einem wunderschönen rot-weißen Zirkuswagen mit Fenstern aus geschliffenem Glas, Einbauküche, Telefon, Gasheizung. (Wo bleibt der CD-Spieler und die Videoanlage? - d.S.) „Für mich“, sagt er, „ist das hier der Versuch einer Symbiose aus Großstadtexistenz und Landleben.“ Den Begriff Wagenburg weist er aus Gründen der Mißverständlichkeit zurück. „Es ist ein Dorf“, sagt er, „in dem auf engem Raum zusammengelebt wird und in dem verschiedene Dinge ausprobiert werden können, ein Experimentierfeld für neue Lebensformen, zugleich auch ein Refugium für Leute, die sich keine andere Wohnung leisten können oder wollen.“

Werner ist einer der wenigen, der neben seiner Rollheimer -Existenz noch eine Beton-Wohnung ohne Räder in Schöneberg hat. Er sieht sich als „'ne Art Schrebergärtner“, lebt gern auf dem Platz, den auch er ein Dorf nennt. „Die Leute hier sind verschieden, unabhängig voneinander wie in jedem Dorf.“

Mit den Anwohnern lebt man friedlich koexistierend. Das Grummeln kommt von woanders. Seit geraumer Zeit schon haben die Stadtoberen ein Auge auf das lauschige Plätzchen geworfen. Demnächst, so ist zu hören, soll die Aufforderung kommen, das Dorf bis Ende November zu räumen.

Frank Schüttig