: „Schlußstrich unter die Volkszählung ziehen“
■ Der Berliner SPD / Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Bundestagsinnenausschusses Gerd Wartenberg über Volkszählungsboykott und „Amnestie“ für die BoykotteurInnen / Ein Bundesgesetz soll geprüft werden
taz: Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes ist die Volkszählung praktisch abgeschlossen. Während in Bremen „harte“ BoykotteurInnen gar nicht verfolgt werden, zieht Hessen derzeit noch 28.000 Bußgeldverfahren durch. Verstößt das nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz?
Wartenberg: Ja, nach außen betrachtet müßte man das wohl so sagen, aber das Gesetz ist ja so konstruiert, daß die Durchführung bei Ländern und Gemeinden liegt. Und insofern ist man von vorneherein davon ausgegangen denjenigen, die die Volkszählung durchführen, auch einen Spielraum zu geben. Politisch ist es jedenfalls sehr problematisch, unabhängig von der rechtlichen Situation, daß je nach Wohnort die Menschen unterschiedlich behandelt werden. Und ich meine es wäre gut, wenn man einen Schlußstrich unter die Volkszählung ziehen würde.
Manche „harten“ BoykotteurInnen berichten von Kontopfändungen und ähnlichen Zwangsmaßnahmen. Sie sagen, daß die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt werde. Was meinen Sie dazu?
Ja ich glaube auch, daß die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt worden ist. Wenn das Bundesamt für Statistik und die Politiker heute darauf hinweisen, daß die Volkszählung ein Erfolg war, dann sollten sie auch die Stärke haben zu sagen: wenn das schon ein Erfolg war, dann muß ich jetzt auch nicht noch einen Rachefeldzug gegen einen kleinen Teil von Boykotteuren durchführen.
Der schleswig-holsteinische Innenminister Bull hat gesagt, daß eine „Amnestie“ der VolkszählungsboykotteurInnen nur durch ein Bundesgesetz geregelt werden könne.
Das ist natürlich ein bißchen problematisch, wenn man ein Gesetz angelegt hat, darin einen Spielraum für Länder und Gemeinden gibt, und der Bundesgesetzgeber im Nachhinein dann diesen Spielraum wieder einschränkt. Aber wir werden das prüfen. Es gibt natürlich auch das Argument, daß es ungerecht wäre denjenigen gegenüber, die mit Unwillen und Zähneknirschen den Bogen ausgefüllt haben und zwar nur deswegen, weil sie keine Bußgelder oder sonstige Zwangsmaßnahmen auf sich ziehen wollten. Für mich ist wichtiger, einen Schlußstrich zu ziehen. Da müßte man überlegen, ob das über die Bundesebene geht. Mir wäre es wichtig, daß man den Ländern und Gemeinden die Empfehlung gibt, Schluß zu machen.
Welche Chancen geben Sie einer mnestiedebatte?
Keine sehr große Chance. Ich habe die Sorge, daß bei einer Debatte im Bundestag im Grunde nur eine Ausspielerei der Länder stattfinden wird. Trotzdem schätze ich, daß es diese Diskussion nochmal geben wird.
Interview: Benno Pilardeaux
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