Ein Toter, von dem man schlecht reden muß

■ Von der Fibag-Affäre bis zur Atomfabrik in Wackersdorf / Erich Kuby über Franz-Josef Strauß

Erich Kubys erstes Buch über Franz-Josef Strauß erschien 1962 („Der Fibag-Wahn“). In einer anderen Studie führte er den Erfolg dieses „Typs unserer Zeit“ darauf zurück, daß er „einerseits den brüllenden Demagogen in Bierkellern spielen konnte, andererseits ein Funktionär war, der virtuos einen Partei- und Beamtenapparat führte“. Das soeben erschienene Kuby-Buch „Deutsche Schattenspiele“ (Verlag Knesebeck und Schuler) enthält das letzte große Interview zum Thema: „Die Nationale Frage“.

Ich kenne Strauß seit Sommer 1945. Es dürfte nur noch wenige tätige Journalisten geben, die das gleiche über den Beginn ihrer Beziehung zu FJS sagen können. Er war der von dem amerikanischen Orts-Kommandanten eingesetzte Landrat in Schongau; ich war aus amerikanischer Gefangenschaft in Frankreich erfreulich frühzeitig entlassen - ein 35jähriger Niemand, der im nahen Weilheim das elterliche Haus zerbombt vorgefunden hatte.

Strauß kam oft nach Weilheim, weil er dort in Gestalt der Frau des Brauereibesitzers Rott, dem der „Bräuwastl“ gehörte, die Entdeckerin seines politischen Talentes gefunden hatte. Frau Rott hatte sich, kaum war der erste amerikanische Jeep in unser Städtchen eingefahren, für die Europa-Idee engagiert und zu Strauß gesagt: „Landrat in Schongau, das ist ja ein ganz netter Anfang, aber Sie müssen nach München, da fängt der 'Ochsen-Sepp‘, das heißt der Rechtsanwalt Josef Müller, gerade an, eine neue Partei aufzubauen. Er war kein Nazi, ganz im Gegenteil, und hatte einen kurzen Draht zum Vatikan, na und überhaupt...!“

So kam es also, daß ich, dank Frau Rott, FJS schon bald nach meiner Rückkehr aus dem Kriege eines Tages in einem der bescheidenen Hotelzimmer des „Bräuwastl“ gegenübersaß. Es war noch ziemlich früh am Vormittag, der Herr Landrat saß auf der Bettkante, trug knöchellange Unterhosen zu einer Art Nachthemd. In dieser Position hatten wir unser erstes politisches Gespräch. Im „Bräuwastl„-Saal, heute ein Supermarkt, hat Strauß seine ersten politischen Reden gehalten, und von da an war mir klar, daß aus ihm etwas werden würde, aber nichts, woran ich irgendeinen Gefallen hätte finden können.

Erster Laufbahnknick

Dieser Einschätzung bin ich fast ein halbes Jahrhundert treu geblieben. Strauß entwickelte geradezu eine Meisterschaft darin, alles, was er klug, energisch und raffiniert mit dem Kopf aufgebaut hatte, sozusagen mit dem Hintern gleich wieder einzureißen, das heißt mit seinem unkontrollierten Machttrieb. Den ersten schweren Knick in seiner Laufbahn trug er sich mit der sogenannten „Fibag„-Affäre zu. Das Wort sagt heute vermutlich nur noch ganz alten Hasen in Bonn etwas. Was dahinterstand, läßt sich auf folgende Kurzfassung bringen: Ein gewisser Schloß, der sich Architekt nannte, aber keinen ausführbaren Bauplan zeichnen konnte, machte sich Hoffnungen, für die Amerikaner 5.000 (in Worten: fünftausend) Wohnungen bauen zu dürfen, und konnte dafür die Unterstützung des damaligen Verteidigungsministers Strauß gewinnen, mit dem er am 1.Dezember 1959 zum ersten Mal in der Landesleitung der CSU zusammentraf. Daraus entwickelte sich ein Gespinst von Verträgen zwischen zwielichtigen Figuren, die allesamt auf den mächtigen Minister setzten.

Dessen Interesse, das wurde immer wahrscheinlicher, war finanziell motiviert. Er wurde verdächtigt, an dem dunklen Geschäft, das nie zustande kam, ursprünglich beteiligt gewesen zu sein. Bewiesen wurde es nie, ein Untersuchungsausschuß ging aus wie das Hornberger Schießen. Und was ich selbst, damals Mitglied der 'Stern'-Redaktion, zur Aufklärung beitrug, endete nur in einem rororo-aktuell -Buch „Im Fibag-Wahn“, erschienen im November 1962.

Die Sache war weit schlimmer für das Ansehen der westdeutschen Demokratie als Jahrzehnte später die Barschel -Affäre, aber sie hatte auch ihr Gutes. Sie kostete den Verteidigungsminister seine sichere Anwartschaft auf das Bundeskanzleramt.

In diesem Lichte müßte eine Strauß-Biographie - daran wird es nicht fehlen in Zukunft - erstellt werden: Da ist ein hochintelligenter, hochbegabter Politiker, der 30 Jahre lang nichts anderes anstrebt, als Chef der Bundesregierung zu werden, es aber durch eigenes Verschulden nicht schafft. Und der zuletzt vor dem CDU-Politiker Kohl kapitulieren muß, diesem an Intelligenz haushoch überlegen, an Stehvermögen aber abgrundtief unterlegen. Eine 'Spiegel'-Affäre, von der „Fibag„-Affäre ganz zu schweigen, hätte Kohl in keiner Phase seiner Laufbahn passieren können.

Ein Typ unserer Zeit:

Demagoge und Funktionär

Ich hätte Verständnis dafür, wenn jemand sagt, daß Kohl gerade seine Qualitäten als Politiker zu einer zutiefst unsympathischen Figur machen. Strauß wiederum konnte um seiner Fehler willen auf Sympathie rechnen, ganz abgesehen davon, daß es die Bundesrepublik „Fibag“ zu verdanken hat, daß ihr nach Adenauers Kanzlerdemokratie ein Regime Strauß erspart geblieben ist.

In meinen „Fibag„-Recherchen ging ich an einer Stelle auf den Sympathieträger Strauß ein und schrieb: „Wenn der junge Ex-Oberleutnant Strauß dem amerikanischen Ortskommandanten auf Anhieb gefiel, dann schon deshalb, weil er kein Europäer von dem Schlag war, der die Tradition von Jahrhunderten verkörpert und damit bei dem durchschnittlichen Amerikaner spontan Minderwertigkeitsgefühle weckt. Strauß war ein Musterexemplar des Parvenu.

Dieser Klassenprimus, dieser in vieler Hinsicht gebildete Mann, erweckte beim Volk gleichwohl den Eindruck, er sei ein simpler Volksgenosse wie Millionen andere. Nicht zuletzt deshalb und keineswegs nur wegen seiner Neigung, in Volksversammlungen auf die Pauke zu hauen, genoß er die Zuneigung vieler Bayern und konnte im letzten Jahrzehnt seiner Laufbahn im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten zum „Landesvater“ werden. Vergessen war, wie oft er gezeigt hatte, daß man ihm nicht trauen konnte.

In einer als Buch erschienenen Studie über ihn als „Typ unserer Zeit“ habe ich seinen Erfolg darauf zurückgeführt, daß er einerseits den brüllenden Demagogen in Bierkellern spielen konnte, andererseits ein Funktionär war, der virtuos einen Partei- und Beamtenapparat führte.

Für die Auswahl der Personen, die unter ihm in diesem Apparat das Sagen hatten, waren für ihn zwei Kriterien maßgebend: entweder bewiesene bedingungslose Loyalität - auf die der Volksspruch anzuwenden ist: „Doch jene, die in Hintern kriechen, werden immer übel riechen“ - oder jene schulterklopfende Bonhommie, die ihm beispielsweise gegenüber einem Tandler selbstverständlich war.

Von einer Eigenschaft hat erstaunlicherweise selbst die ihm feindliche Presse nie Aufhebens gemacht: von seiner phänomenalen Begabung, Reichtum zusammenzuschachern. Er besaß bereits Wohnblöcke in Schwabing, als er nichts war als ein Bundesminister, von dessen Gehalt man nun einmal auch in den fünfziger Jahren in München keine Wohnblöcke kaufen konnte.

Er verfügte seit eh und je über einen Anwalt, der nicht nur selbst in Person nahezu unsichtbar blieb, sondern auch den Geschäftsmann Strauß total abschirmen konnte. Vielleicht war das gar nicht so schwierig. Die Presse beschäftigte so oder so der Politiker, dem Geldmacher schaute sie nicht auf die Finger. Das hatte seinen guten Grund: Als solcher war Strauß in allen Stadien seiner Laufbahn ungefährlicher als durch sein politisches Handeln.

Hauptschuldiger

am WAA-Bau

In dem Augenblick, in dem ich auf Vorschlag der Redaktion diese Sätze zu Papier bringe, ist der Tod des interessantesten Politikers der BRD noch nicht bestätigt, wenn ihn auch die Verlautbarungen der Ärzte befürchten lassen. Die politische Landschaft wird durch seinen Tod nicht verändert, was immer auch in den nächsten Tagen und Wochen Gegenteiliges behauptet werden wird. Er war nicht mehr der Mitgestalter der Bonner Politik.

Ob sich allerdings ohne Strauß die Atomlobby Wackersdorf endgültig durchsetzen wird, halte ich nicht für ausgemacht. Schaffte sie es ohne ihn nicht mehr, so würde die Trauer über sein jähes Ende im Rückblick sich relativieren. Die Planung und die Errichtung dieser Plutoniumfabrik, deren Hauptzweck nichts anderes ist als die Herstellung westdeutscher Atomwaffen, war vom ersten Augenblick an ein Verbrechen und wird nie etwas anderes sein. Da der Hauptschuldige dieser Unternehmung der Verblichene war, ist es unmöglich, auf ihn die Regel anzuwenden, man dürfe über Tote nicht schlecht sprechen.