Geisel frei - Wahlkampfgeschenk für Bush

„Jihad für die Befreiung Palästinas“ ließ indische Geisel im Libanon frei / Freilassung US-amerikanischer Gefangener von Kidnappern in Aussicht gestellt, falls die USA ihre Haltung gegenüber der PLO ändern / Das Wort vom „Libanon-Gate“ macht die Runde  ■  Aus Beirut Petra Groll

Mithikeswar Singh, 60jähriger Professor am Beirut University College (BUC), und seit Januar 1987 Geisel der clandestinen Organisation „Jihad für die Befreiung Palästinas“ (JILP), wurde am späten Montag abend dem syrischen Militärgeheimdienst in der libanesischen Hauptstadt übergeben und am Dienstag in der syrischen Hauptstadt freigelassen. Singh, ein Inder, der über eine 'green card‘, eine Aufenthaltsberechtigung für die USA, verfügt, war 1987 zusammen mit drei US-amerikanischen Kollegen in einer geradezu slapstickartigen Aktion vom Campus des BUC entführt worden: Mehrere als libanesische Polizisten verkleidete Pistoleros drangen mit einem Jeep der libanesischen Polizei in das strengbewachte Gelände der Hochschule ein. Die drei US-amerikanischen Geiseln befinden sich weiterhin in der Gewalt des JILP.

Bereits Mitte September hatte sich die Organisation an die West-beiruter Presse gewandt und die Freilassung aller ihrer Geiseln in Aussicht gestellt für den Fall, daß sich die Haltung der US-Administration gegenüber der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und dem Aufstand in den besetzten Gebieten ändert.

In einer weiteren Botschaft hatte der 'JILP‘ Ende September die Wiedereröffnung des PLO-Büros in Washington gefordert. Die Freilassung Singhs hatten die Geiselnehmer schließlich als Geste ihres guten Willens bezeichnet.

In den USA war die bevorstehende Freilassung einer Geisel quasi bis zur letzten Minute heruntergespielt worden, selbst dann noch, als der syrische Außenminister Farouk el-Sharaa in New York die Freilassung einer Geisel angekündigt hatte. Zwar hatte sich US-Präsident Reagan einen der üblichen Ausrutscher geleistet und in seiner Rede vor der UNO von der bevorstehenden Lösung des Geiseldramas geplaudert, doch versucht die US-Administration derzeit, jeden auch nur leisesten Verdacht zu vermeiden, es gäbe einen Dialog, geschweige denn direkte Verhandlungen mit den Geiselnehmern beziehungsweise dem Teheraner Regime, dem die Geiselnehmer nahestehen sollen.

Aus Washington heißt es lediglich, entsprechende Kontakte liefen am Rande der Genfer Gespräche zur Beendigung des Golfkrieges zwischen Iran und Irak, UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar habe sich in der Angelegenheit engagiert. Der iranische Außenminister Velayati hatte in den vergangenen Wochen mehrfach angekündigt, seine Regierung werde sich für die Freilassung aller westlichen Geiseln einsetzen. Verstärkte Gerüchte um eine baldige Freilassung der US-Geiseln waren in Beirut Mitte September unter dem Stichwort 'Libanon-Gate‘ lautgeworden. US-Staatssekretär Richard Murphy hielt sich damals zum wiederholten Mal in der syrischen Hausptstadt Damaskus auf, um mit Präsident Hafez al-Assad, dessen Truppen runde 65 Prozent des libanesischen Territoriums kontrollieren, über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Libanon zu verhandeln. Murphy habe, so hieß es bald aus ostbeiruter Maronitenkreisen, die Interessen der libanesischen Christen gegen die Freilassung der US-Geiseln noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA am 4.November verkauft: Murphy habe der Kandidatur des pro-syrischen Präsidentschaftskandidaten Mikhael Daher für den Staatspräsidentensessel in Libanon zugestimmt. Mit der offensichtlichen Drohung, 'Daher oder das Chaos‘, war Murphy aus der Region abgereist. General Michel Aoun, der nach dem letzten gescheiterten Anlauf der libanesischen Präsidentschaftswahl durch einen kalten Putsch der Armee und der maronitischen Einheitsmiliz 'Forces Libanaises‘ Chef der christlichen Übergangsregierung wurde, beklagte sich bereits am 21.September über das 'Libanon-Gate‘ und das US-Diktat.

Die Freilassung Singhs wurde am Dienstag morgen in Beirut denn auch als 'Wahlgeschenk mit iranischen und syrischen Grüßen‘ an den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten George Bush bezeichnet. Syrien wolle der US-Administration noch einmal deutlich machen, zu welchen Gegenleistungen es im Fall einer Einigung über die libanesische Krise bereit sei. Und Iran versuche nicht zum ersten Mal, über das Vehikel der Geiseln in Präsidentschaftswahlen einer anderen Nation einzugreifen, hieß es mit der Anspielung auf die Freilassung der letzten französischen Geiseln just zur Präsidentschaftswahl in Frankreich.