Krimi, Liebe und Nebel in Newcastle

■ „Stormy Monday“, ein neuer britischer Heimatfilm vom Arsch der Welt / Mit Stadtsanierung, Mord und Jazz / Eine Hommage an die morbide Schönheit vergangener Zeiten / Endet in Chaos und Happy End

Fünf Autostunden hinter London beginnt im Nordosten der britischen Insel eine Gegend, die von der Mehrheit der Engländer schlichtweg unter der Rubrik „Abhaken“ läuft. Kurz vor der schottischen Grenze und der Grafschaft Northumberland mit seinen UreinwohnerInnen, den Geordies, liegt mit Newcastle eine Metropole im Dornröschenschlaf. Über zwanzig Prozent Arbeitslose, chronischer Geldmangel der Stadtoberen und ein zunehmender städtebaulicher Verfall, dem mit einer brutalen Sanierungspolitik begegnet wird,

kennzeichnen das Leben der Stadt am River Tyne.

Mit einer nächtlichen Autofahrt auf der A1 in Richtung der nördlichen Industriestadt beginnt auch Stormy Monday, der Film von Mike Figgis, und damit auch eine Hommage an die morbide Schönheit vergangener Zeiten. In einem effektvollen Zusammenschnitt von Bild und Ton erzählen unheilvolle Einstellungen die Entwicklungen einer Geschichte, die sich erst allmählich und ganz behutsam erschließen lassen wird. Nur eines ist von Anfang an klar: Eine Pistole im Handschuh

fach kann nichts Gutes bedeuten.

Vor dem Hintergrund eines mitreißenden Jazzstücks kündet schon die erste szenische Montage vom besonderen Schauplatz der Handlung. Morgengrauen, dampfender Kaffee, eine prasselnde Dusche, das Eldon Square Einkaufscenter und die Tyne Bridge hoch über den Dächern der City. Newcastle erwacht.

Diese vorsichtige Annäherung verfehlt ihre Wirkung nicht. Brendan, ein junger Mann auf Jobsuche (Sean Bean) und Kate (Melanie Griffith) leben in dieser Stadt und schlagen sich gerade so durch. Als Dienstleister sind noch am ehesten ein paar Pfund zu verdienen und so nimmt Brendan mehr aus Verlegenheit einen Putzjob in einem Jazzclub an. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Wie das Leben so spielt, eine Ansammlung von Banalitäten fügt sich Kraft der Macht des Schicksals zur Katastrophe und zum Krimi. Brendan muß als neuer Kalfaktor des schmuddeli

gen Clubbesitzers Finney (Sting) gleich das Krakow Jazz Ensemble vom Flughafen abholen. Dessen Mitglieder sind allerdings nach dem Genuß von reichlich duty-free Wodka und Free Jazz schon eine harte Probe.

In der Stadt wird dem wirtschaftlichen Abwärtstrend mit einer amerikanischen Woche begegnet. Zu allem Überfluß trachtet diesmal der kaltblütige Organisator der US-Woche Brendans unrasiertem Club-Chef nach dem Leben. Er will die gesamte Quayside des Hafenviertels kaufen und wegsanieren. Nur Finney, die Nachteule mit den Augenringen, ist ihm da noch Wege. Doch der denkt gar nicht daran, den Einschüchterungen der fiesgesichtigen Gangster nachzugeben. Er schlägt zurück und setzt eine Welle der Gewalt in Bewegung. Unvermittelt finden sich die beiden Liebenden in einem mörderischen Komplott wieder, das die Leinwand zum Knistern bringt.

Figgis, der neben Drehbuch

und Regie auch für weite Teile der überaus dynamischen Filmusik verantworlich ist, sorgt immer wieder mit faszinierend montierten Bild-Ton-Überblendungen für eine spezifische Atmosphäre von Spannung. So gehört die wilde, ungehemmte Interpretation der amerikanischen Hymne durch die polnische Band im Verein mit einer zynischen Rede über Stadtentwicklung mit Metaphern eines Chirurgen zu den Höhepunkten von Stormy Monday.

Der Film endet im Chaos und im happy-end gleichermaßen. Die Eindrücke wirken nach. Die wundervolle Liebesgeschichte von Brendan und Kate, die unerträgliche Spannung im Moment der Bedrohung der beiden, fesselnde Kamera-Fahrten durch eine charaktervolle Szenerie und eine dezente, aber jederzeit präsente musikalische Begleitung, die in ihrer Vielschichtigkeit den Bildern in nichts nachsteht.

Jürgen Francke

Schauburg, 21 Uhr