Ankommen, wo frau immer schon war

■ Berliner Kleinverlag debütiert mit „lesbisch-feministischer“ Szeneliteratur

Mit zwei Titeln debütierte in diesem Jahr „Ätna“, ein West -Berliner Kleinverlag, der sich die Publikation „lesbisch -feministischer“ Literatur zur Aufgabe gemacht hat. Der Roman Bantu von Lea Morrien beginnt mit der Verhaftung zweiter als „Terroristinnen“ denunzierter Frauen, deren Grund zum Staatsgeheimnis wird: Eine der beiden, Bantu, erwartet eine parthogenetisch erzeugte Tochter. In der „Isolationshaft“ schreibt sie Briefe an die noch ungeborene Tochter. Dieser wird im Jahre 2010 als vermeintliche Tochter des „Staatsministers“ und Teilnehmerin an einer Expedition ins All die Augen über ihre wahre Herkunft geöffnet. Und sie wird für die inzwischen ausgebrochene lesbisch-feministische Revolution kämpfen: „tochter der bantu / auch du / zurückgekehrt / hier endlich angekommen“, heißt es am Schluß des Buches.

Sicher hätten die Themen, auf die angespielt wird Gentechnologie und „Terrorismus“ - Stoff für eine ebenso spannende wie politisch brisante Bearbeitung geboten, doch wurde diese Chance, wie der Plot der Story und das kurze Zitat vielleicht andeuten, verschenkt. Dazu hätte es genauer Recherchen ebenso bedurft, wie sprachlicher und formaler Anstrengungen - beispielsweise einer Reflexion der Regeln der Genres Science Fiction und Thriller, deren man sich bedient. Inhaltlich wie sprachlich bleibt der Text weit hinter dem zurück, was eine angemessene Darstellung des Stoffes erfordert hätte.

Während Bantu die Möglichkeiten, die das Genre Science Fiction oder auch - in ihrem Text wenig virtuos gehandhabt ironisch-satirische Darstellungsweisen bieten, einfach nicht nutzt, verzichtet die andere Ätna-Produktion, Selbstverteidigung von Chris Paul von vornherein auf derlei Chancen. Die Autorin beschreibt, orientiert an den Traditionen feministischer Autobiographik, Szene und Szenealltag. Wer kennt sie nicht, die coole Selbstverteidigungstrainerin Joyce oder die sensible Künstlerin mit dem selbstgewählten Phantasiennamen „Neheba“? Die Figuren sind nichts weiter als Klischees, und die Geschichte, die zu erzählen ist, immer schon bekannt.

Doch ebenso wie in Bantu hält sich die Harmlosigkeit der Darstellungsweise nicht mit der Harmlosigkeit des Dargestellten die Waage, versucht der Text doch Erfahrungen sexueller Gewalt zu thematisieren. In einer kaum erträglichen Überfrachtung werden in Selbstverteidigung sämtliche Varianten männlicher Gewalt zitiert: Neben Verweisen auf die alltäglichen Übergriffe, geschieht ein schrecklicher Mord an einer Frau und die Erinnerung und Verarbeitung kindlicher Mißbrauchserlebnisse wird gar in mehreren Erzählsträngen vorgeführt. Darüber hinaus hat eine der Protagonistinnen auch noch den Selbstmord ihrer Geliebten zu überwinden. Die Darstellbarkeit und Erzählbarkeit dieser biographischen Katastrophen wird jedoch nicht zum Problem. Indem aber alles erzählbar, sagbar, beantwortbar ist, wird der Schrecken banal.

Nicht zufällig schreibt Ingeborg Bachmann in ihrem Roman Malina, der sich in immer noch exemplarischer Weise diesem Problem stellt, die Erinnerungen in Traumbildern, in der Logik des Traumes. Wie alle Erinnerungen sind umso mehr die traumatisierten Produkte der Arbeit des Unbewußten. Das Verdrängen und Vergessen solcher Erfahrungen sind nicht Betriebsunfälle des Psychischen, sondern Bedingung dafür, daß sie erinnerbar werden. Der Umweg über die Bearbeitung durch das Unbewußte erweist sich als Weg, als Möglichkeit der Darstellung des Nichterzählbaren. Jede vermeindlich direkte, unvermittelte Präsentation ist voyeuristisch oder pornographisch, weil sie letztlich der Perspektive des Täters verhaftet bleibt. Damit ist kein moralischer Vorwurf erhoben, sondern sind Effekte einer Schreibweise beschrieben, die gerade auch gegen die Intension der Autorin wirken.

Die andere Perspektive einer „weiblichen Poesie“ ergibt sich eben nicht quasi natürlich aus einer richtigen lesbischen - Identität und auch nicht aus dem Rekurs auf das „Erbe der Mütter“, wie es die Künstlerin Neheba formuliert. Oder im Ankommen dort, wo frau eigentlich schon immer gewesen ist, wie es das Zitat aus Bantu nahelegt.

„Ich kann nichts sagen“, schreibt noch einmal Ingeborg Bachmann, „weil ich weg von meinem Vater und über die Marmormauer muß, aber in einer anderen Sprache sage ich: Ne! Ne! Und in vielen Sprachen: No! No! Non! Non! Niet! Niet! No! Nem! Nem! Nein! Denn auch in unserer Sprache kann ich nur nein sagen, sonst finde ich kein Wort mehr in einer Sprache.“

Birgit Bosold

Lea Morrien: Bantu. Roman. Ätna-Verlag, Berlin 1988, 20Mark