„Wir sind in ein tiefes Loch gefallen“

■ Interview mit Charles Leadbeater, Journalist und Co-Autor von „Facing Up To The Future“, dem neuen Parteiprogramm der britischen „Communist Party“ (CP), über Identitätskrise und Schicksal der britischen Linken und der Labour Party

taz: Nach neun Jahren in oft hilfloser Opposition stellt die Labour Party für viele britische Wähler immer noch keine glaubwürdige Alternative dar. Was macht Labour in der Opposition falsch?

Charles Leadbeater: Da gibt es eine Reihe von Gründen. Zum ersten hat die Labour Party keine offene Debattenkultur entwickelt, weil sie sich in erster Linie auf die parlamentarische Politik konzentriert und an tiefergreifenden ideologischen und politischen Fragen wenig Interesse zeigt. Sie unterhält kaum Verbindungen zu den verschiedenen Bewegungen, die nicht direkt Teil der Arbeiterbewegung sind. Diese Konzentration auf eine rein parlamentarische Opposition ...

... wo Labour kläglich versagt hat ...

Ja, und dieses parlamentarische Versagen zusammen mit der Unfähigkeit, gesellschaftliche Koalitionen zu bilden, hat zur gegenwärtigen Identitätskrise der Partei geführt.

Mit dem von Ihnen miterarbeiteten Programmentwurf hat die CP eines der innovativsten Dokumente der britischen Linken seit einer Dekade vorgestellt. Geht die mit ähnlicher Absicht angegangene Programmerneuerung der Labour Party weit genug?

Der „Policy Review“ Labours, die Programmerneuerung, ist zwar mehr als eine oberflächliche Pflichtübung, ihm fehlt jedoch ein historischer Rahmen für den Wandel in der wirtschaftlichen und sozialen Sphäre, die gerade für die Linke so bedeutend sind. Die Entwürfe sind nicht kohärent genug, um Entwicklungen wie die Globalisierung der Ökonomie, die Zersplitterung der Lebenszusammenhänge und die ökologische Krise zu erfassen. In den Politikvorschlägen ist noch unklar, welche Rolle den Individuen und dem Kollektiv bei der Lösung dieser Probleme zukommen soll.

Welchen Weg soll die Partei denn gehen, den Weg einer klassisch-sozialistischen Radikalisierung, wie die traditionelle Linke um Tony Benn fordert, oder den der Sozialdemokratisierung, wie er der Parteiführung vorzuschweben scheint?

Labour müßte sich als erstes die Frage stellen, was es heute überhaupt heißt, „radikal“ zu sein. Dies ist ja Zeichen der Krise, daß so viele verwirrt sind, weil sich die alten Lager auflösen, die Beschreibungen „harte“ und „weiche“ Linke nichts mehr aussagen. Radikal wäre es, sich mehr den „grünen Themen“ zu widmen, was gleichzeitig radikal wie populär ist, oder für die neue Unterklasse einzutreten, alles Schritte, die von den ausgetretenen Pfaden der Arbeiterbewegung abweichen. Daneben muß Labour auch noch ökonomische Kompetenz und Flexibilität beweisen, glaubwürdig machen, daß die Partei eine modernisierte, effiziente und wettbewerbsfähige Volkswirtschaft managen kann. Labour braucht beides, das kompetente Image eines Dukakis und die soziale Breitenwirkung eines Jesse Jackson.

Sehen Sie ohne eine Wahlrechtsreform, das Eintreten der Labour Party für das Verhältniswahlrecht, überhaupt noch eine Zukunft für die Partei?

Wenn Labour die nächsten Wahlen verliert (frühestens 1992)

-was ich für durchaus wahrscheinlich halte - dann wird die Partei nicht umhinkommen, nach neuen Allianzen links von der Mitte zu suchen und eventuell auch für eine Wahlrechtsreform einzutreten.

Heißt das nicht, daß das traditionelle britische Zweiparteiensystem längst am Ende ist?

Soweit sind wir noch nicht ganz, das hängt davon ab, was mit den „Democrats“ (der neuen Bezeichnung für den Zusammenschluß aus Sozialdemokraten und Liberalen, d.Red.) geschieht. Auf jeden Fall brauchen wir eine Neudefinition dessen, was in Großbritannien links von der politischen Mitte ist, die auch außerparlamentarische Kräfte einschließen müßte.

Wenn wir uns das linke Spektrum in Großbritannien und der BRD derzeit anschauen, dann haben wir da eine Labour -Führung, die sich an einer oberflächlichen Modernisierung, ihrem ersten „Godesberg“ versucht, einen Teil der bundesdeutschen SPD, die wie Lafontaine am „zweiten Godesberg“ bastelt und eine etwas verwirrte britische Linke, die, wenn sie nicht gerade in die Vergangenheit zurück will, sich an den Ideen Lafontaines orientiert. Aber alle haben sich kritiklos dem Begriff der „Modernisierung“ verschrieben; d.h., alle sind gerade dabei, die kapitalistischen Systeme unserer europäischen Länder mit oder gegeneinander auf Vordermann zu bringen, um auf den globalen Märkten gegenüber den übrigen ökonomischen Zentren wettbewerbsfähig zu bleiben.

Nun, was Großbritannien angeht, müssen wir die ganz grundsätzliche Frage der Leute beantworten, wo denn ökonomische Sicherheit und Wohlstand in Zukunft herkommen sollen, wenn nicht mehr durch Umverteilung und keynesianische Nachfragesteuerung. Die Frage für uns ist, wie wir eine progressive Restrukturierung der Volkswirtschaft durchführen können, ohne einfach nur das sozialdemokratische Modell zu kopieren.

Und wie dies genau aussehen soll, weiß keiner so richtig.

Schauen Sie sich unsere Lage in Großbritannien doch einmal an. In den 70er Jahren mag es ja noch Vorstellungen darüber gegeben haben, wie wir von einer Labour-Regierung zu einer radikaleren Labour-Regierung usw. fortschreiten könnten. Dieses Selbstbewußtsein, diese Vision ist uns in den neun Jahren Thatcherismus gründlich abhanden gekommen, wir sind da in ein tiefes Loch gefallen. Unser allergrößtes Problem ist es, erst einmal wieder aus diesem Scheiß-Loch herauszukommen.

Rolf Paasch