Verräter und Köder

■ Buchmesse: Über die tschibomäßige Umorientierung der Avantgarde

Das Adrenalin wurde fast restlos schon am Vorabend im beliebten Szenelokal „Orfeo“ ausgestoßen. Welch ein Hallo: unser altes taz-Schlachtroß, Thomas Hartmann, der jetzt Visa -Kreditkarten verkauft und seitdem viel entspannter aussieht...

A propos: „Entspannung“ ist der ganz große Buchmessenhit in diesem Jahr. Schon Gertrud Höhler legte in ihrem überflüssigen neuen Werk über die jungen Ideen, die die Welt verändern, den Karrierefrauen, die sie jetzt allerorten und jederzeit wähnt, die Entspannung als solche und zur Verbesserung des Leistungsklimas nahe. Auch der alte taz -Kolumnist Ronald Rippchen wurde als Verräter eigener Glaubensbekenntnisse erwischt, als er unter einem Kopfhörer am Stand der „Grünen Kraft“ im Schaukelstuhl trancierte.

Weil auf der Buchmesse jeder mittelmäßige Klappentextbeschrifter seine Ware anbieten darf, hat sich die Avantgarde tschibomäßig umorientiert, und die bücherüberfressenen Schnorrer von der Presse versuchen jetzt, die netten kleinen Intelligenzmaschinen zur Rezension abzugreifen. „Na, und wenn die nicht“, sagt der Kollege einer großen Hamburger Zeitung unbekümmert, als man ihm sagt, daß das Gerät Soundso immerhin 2.000 Mark kostet, „dann nehm ich vielleicht den schicken, selbsttätigen Schaukelstuhl“. Aber manche Verlage, die sind ja so kniepich, daß sie sich noch nicht mal mit dem lügenhaften Versprechen einer bunten Doppelseite ködern lassen...

Es gibt sage und schreibe 3.500 Schriften aus Italien, eine davon sollte per Eilkurier an die Bayerische Staatskanzlei gesandt werden: „Beerdigungsbräuche römischer Kaiser“ von Javeer Arce.

Renee Zucker